»DER FISKUS« — DAS NEHMEN WIR IM AMT GANZ SACHLICH

Ein Gespräch mit dem Leiter des Finanzamts Ulm anlässlich der Premiere von Felicia Zellers »Der Fiskus«

Nur zu wenigen Behörden hat jede und jeder von uns einen lebenslangen regelmäßigen Kontakt wie zum Finanzamt. Felicia Zeller bringt uns in ihrem neuesten Stück gewohnt scharfsichtig und grotesk zugespitzt den Alltag im Amt näher. Und ihr Behördenporträt zeigt nicht allein den Alltagsärger der Beamtinnen und Beamten über diverse Beschwerdeschreiben oder unsachgemäß ausgefüllte Formulare, sondern auch das Ringen der Belegschaft um die angemessene Art, mit sich und den zu bearbeitenden Fällen umzugehen, besonders, wenn es um besonders brisante Steuerfragen geht. Dr. Christian Katzschmann traf Elmar Reichle, den Chef des Ulmer Finanzamts, für einen kleinen Einblick hinter die Kulissen der Finanzbehörde.

Das deutsche Steuerrecht gilt als besonders schwierig: Mythos oder Tatsache?
Elmar Reichle In seinen Grundbestandteilen ist das Steuerrecht ja seit 100 Jahren unverändert, doch durch zig Sonderfälle wird die an sich klare rechtliche Gliederung unübersichtlich und das Steuerrecht schwierig. Aber dennoch: Im internationalen Vergleich stehen wir gar nicht schlecht da. In der jährlichen Analyse von PricewaterhouseCoopers, einer großen Steuerberatungsgesellschaft, die prüft, welcher zeitliche Aufwand für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten im Unternehmensbereich notwendig ist, liegt Deutschland mit 218 Stunden im guten Mittelfeld, der Durchschnitt sind weltweit 234 Stunden. Für den normalen Arbeitnehmer gibt es ebenso repräsentative Umfragen, da geht man von durchschnittlich 5,7 Stunden aus, die für die Steuererklärung aufgewendet werden. Also für meine eigene habe ich auch gut 4 Stunden gebraucht. Der Mythos, dass es in Deutschland mit dem Steuerrecht besonders kompliziert ist, der ist meines Erachtens also doch etwas übertrieben.

Muss man ein Mathe-Ass sein in diesem Beruf?
Also, etwas überspitzt gesagt: Eine Kurvendiskussion muss ich nicht führen können. Wenn ich einen Taschenrechner bedienen kann, reicht das. Logisches Denken, das ist aber absolut notwendig. Und mit entsprechender fachlicher Ausbildung oder dem speziellen Studium sind Sie gut gerüstet.

Wie muss ich mir als Steuerbürger die Arbeit für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vorstellen?
Zunächst einmal bearbeiten sowohl der gehobene als auch der mittlere Dienst steuerrechtliche Fälle, insoweit ist das erst einmal identisch. Dabei ist die Domäne des gehobenen Dienstes der Außendienst bei Betriebsprüfungen und in der Steuerfahndung, der mittlere Dienst übernimmt hauptsächlich im Innendienst die Bearbeitungen der Steuererklärungen, also auch Ihre, außerdem die Arbeitnehmerveranlagung und Lohnsteuer- und Umsatzsteuerprüfungen.

Erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die heikle Arbeit im direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern im Außendienst oder Innendienst spezielle Schulungen?
Für den Einsatz im Außendienst sind Sie nach dem Studium und dem verbindlichen sechsmonatigen Einsatz im Innendienst ohnehin gut vorbereitet, und dem schließt sich noch eine zusätzliche einjährige spezielle Ausbildung für die Betriebsprüfungen an, in der Sie gemeinsam mit erfahrenen Prüfern vor Ort tätig sind, Schwerpunkte der Materie kennenlernen. Und Sie werden nicht nur in der realen Arbeitspraxis, sondern auch im Umgang mit dem Bürger kommunikativ geschult, bevor Sie das erste Mal allein nach draußen gehen. Diese Souveränität im Auftreten und Agieren ist unbedingt wichtig, wenn Sie dem Bürger direkt gegenüberstehen.

Was sind die besonders nervenaufreibenden Anteile der Arbeit, wann wird es stressig?
Im großen Maßstab wird es kompliziert und nervenaufreibend bei gesetzlichen Initiativen, die sich auf eine Vielzahl von Steuerfällen auswirken und deren Verfassungsmäßigkeit vor den obersten Gerichten überprüft wird, was erfahrungsgemäß Jahre dauert. Und im Kleinen gibt es natürlich immer wieder bei jedem Beamten einzelne Querulanten, die nicht nachlassen und sich mit ihrem Fall festbeißen, wie den Unternehmer, der sein Wohnmobil im Betrieb stehen hatte und uns weismachen wollte, dass er da berufsbedingt übernachtet und es damit absetzbar sei. Zur Untermauerung der Rechtsauffassung werden dann manchmal die schrägsten juristischen Begründungen herangezogen, Halbsätze aus Gerichtsentscheidungen zitiert und immer neue Anläufe genommen. Das kann schon Nerven rauben. Häufiger kommt es schon vor, dass sich Bürger am Telefon in der Wortwahl vergreifen. Mit der Zeit lernt man einzuschätzen, ob es rabiat wird oder sich beruhigt, kann besser damit umgehen, drüberstehen.

Cum-Ex, sicher einer der großen Finanzskandale in der Geschichte der Bundesrepublik: War das ein Thema auch in Ulm?
Aus Gründen des Steuergeheimnisses kann ich dazu leider keine Ausführungen machen. Als ich das erste Mal von diesen Fällen gehört und mich damit befasst habe, habe ich auch länger gebraucht, um die Details zu begreifen. Wenn Sie kein Experte in den Aktienzusammenhängen sind, ist es sehr kompliziert. Aber grundsätzlich: Ich finde es wirklich bedauerlich, dass es Leute gibt, die sich solche Gewinn-Modelle zu Lasten der Allgemeinheit ausdenken. Das sind ganze Heerscharen von Juristen, die sich spezialisieren beim Thema Steuervermeidung, weil sie damit gut verdienen. Wobei ich hier auch sehen muss, dass diese Fälle nicht die Steuermoral allgemein betreffen, sondern eine sehr überschaubare Klientel mit entsprechenden Summen, bei der sich solche Modelle ›lohnen‹. Wenn Sie oder ich einen Tausender in Aktien investieren, das ist eine Lachnummer, bei diesen (jetzt illegalen) Geschäften ging es um ganz andere Beträge.

Der Fiskus als Klischee: Ist das Finanzamt eine penible, strenge, humorfreie Zone?
Humor und Genauigkeit schließen sich ja nicht aus, denke ich. Sicherlich arbeiten hier nicht nur Menschen, die bei sich stets und ständig jeden Cent umdrehen, andererseits sind Hallodris hier wohl nicht ganz an der richtigen Stelle, das mag sein. Wir müssen aber ja gewährleisten, dass im Interesse der Bürger die Steuern gerecht und gleichmäßig festgesetzt werden. Und dafür ist exakte Arbeit notwendig. Der Einzelne schimpft vielleicht manchmal, dass die Behörde so penibel ist. Doch die Bürger, die uns schließlich bezahlen, haben ja einen Anspruch darauf, dass wir unsere Arbeit exakt machen. Und den haben wir natürlich an uns selbst.

Elmar Reichle studierte in Freiburg Rechtswissenschaften und begann seine Arbeit in der Steuerverwaltung 1984 am Finanzamt Ulm, u.a. in der Steuerfahndung. 2010 und 2011 war er im Stuttgarter Finanzministerium tätig, von 2014 bis 2017 leitete er das Finanzamt Nürtingen, von 2017 bis 2020 das Finanzamt Stuttgart I. 2020 wurde er zum Vorsteher des Finanzamts Ulm berufen.

Den vollständigen Text des Interviews finden Sie im Programmheft zum Stück.

Dr. Christian Katzschmann


Inszenierung Jessica Sonia Cremer
Ausstattung Petra Mollérus
Mit Rudi Grieser, Marie Luisa Kerkhoff, Christel Mayr, Alexandra Ostapenko, Tini Prüfert