BLAU/ROSA/GRAU - GEDANKEN EINER DROHNENPILOTIN NACH DEM BLACKOUT ZUR INSZENIERUNG VON GEORGE BRANTS »AM BODEN« IM PODIUM 

Nur ganz wenige Pilotinnen dienen in der US Air Force. Sie ist eine davon, weltweit im Kampfeinsatz. Doch nach ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihrer Tochter wird sie versetzt: Aus dem geliebten Cockpit des Kampfflugzeugs F16, dem süchtig machenden Alleinsein in Überschallgeschwindigkeit im Blau des Himmels, schickt sie der Befehl in die Ödnis einer Kampfdrohnen-Einheit. »Am Boden« sein heißt für sie nun im doppelten Sinne: Die Schönheit des Fliegens, die Anspannung des Kampfeinsatzes in der Luft ist ersetzt durch das monotone Lenken der ferngesteuerten Drohne »Reaper«. Sie ist nun ein »Sesselfurzer« im Kampfanzug. Es deprimiert sie: Der permanente Blick auf das Grau des Bildschirms, die stupide Routine im Militärkomplex bei Las Vegas soll ihre Zukunft sein? Es ist auch die veränderte Sicht auf die Aufgabe des Tötens, die ihr zunehmend zu schaffen macht. Ihre sich steigernde Irritation entgeht den Vorgesetzten nicht. Zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen ist sie in einer medizinischen Einrichtung der United States Air Force interniert:

Ich habe etwas gemacht, das ich liebe. Ich bin immer noch süchtig danach. Und dann kommt einer und sagt, dass das nicht mehr gebraucht wird, dass ich dafür nicht mehr gebraucht werde. Etwas anderes wird jetzt gebraucht, auch von mir. Nicht mehr Fliegen, nicht mehr meine F16, sondern »Reaper«. Ich soll Drohnen steuern. In dem Blau, in meinem Blau da oben am Himmel war mir nie so bewusst, dass ich töte, es passierte einfach. Es ist im Cockpit nicht zu sehen, ich fliege weiter, wenn die Bomben ausgelöst sind. Ich lasse sie unter der F16 fallen zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Aber wenn sie detonieren, bin ich schon weg. Ich muss den Einsatzort verlassen. Es ist ein Kampf im Blau da oben in der F16, ich bin angreifbar, eine ehrliche Kämpferin. Aber mit der »Reaper«? Das ist kein Kampf, das ist ein Job: beobachten, weiterbeobachten, töten und dann nach Hause fahren. Als Pilotin im Kampfjet musste ich nur ein Mal im Jahr nach Hause. Als Drohnenpilotin habe ich Tag für Tag die Rolle gewechselt. Jeden Tag war ich auch in dieser anderen Welt, bei Mann und Kind, nachdem ich mit so einem Spielzeughebel Leute in die Luft gejagt habe. Immer ging es für mich vom Grau des Drohnenbildschirms in den rosa Familienalltag, die Alltagsroutine mit Berührungen, Küssen, Insbettgehen, und wieder zurück zum Bildschirm. Und im Kopf verschwand das Blau und wurde zu grauem Kitt.
Das mit der »Reaper«, das habe ich nie gewollt. Wovon ich immer geträumt habe, war dort oben zu sein, in der Unendlichkeit, dem Blau des Himmels: Das Gefühl, die F16 zu fliegen, das kann nichts sonst ersetzen, diese Kraft, mit der ich den Himmel aufbreche, der Druck, der mich zusammenpresst und mir, wenn ich neue Sitze zureite, Hämatome am Arsch macht — wie Achterbahnfahren, nur 100 mal stärker. Nirgends finde ich solch ein Glück wie in diesem Blau, es ist eine Sucht, die mich wieder dahin treibt. Alles unten, am Boden, schafft dieses Gefühl nicht. Die Familie und alles sonst ist ohne das da oben nichts.
Ich wollte die F16, wirklich und unbedingt. All die Prüfungen, das Sich-Quälen habe ich durchgestanden, um endlich dort zu sein. Dafür habe ich es gemacht, für die Gefahr: die ist da, wenn ich in der Maschine sitze — diese irrsinnige Geschwindigkeit, die Waffen, die Atemmaske. Immer war für mich das Risiko da. Aber es lohnt sich, weil ich meine Leute da unten schütze. Ich war Teil einer Truppe, wir sind die, die am schnellsten da sind, die handeln, die die Nummer 1 sind, die besser sind. Wer einmal dort oben war, der will nicht am Boden sein. Mein Mann? Der hat sich von mir nie einschüchtern lassen, der betet mich an, der weiß, wo er hingehört. Ich liebe ihn für seine Weichheit, seine Tränen, seine Freude. Mit uns passt das, wir ergänzen uns wunderbar. Und Samantha ist die Mitte aus Eric und mir. Sie ist so ein kleines perfektes Wesen. Als ich wusste, dass sie in mir ist, bin ich noch einmal in der F16 geflogen, selbst auf die Gefahr hin, sie zu verlieren. Sie sollte spüren, was das bedeutet, wissen, dass das eines Tages ihr gehören könnte. Und da war ich die Mama im Blau. Für sie habe ich es ertragen, nicht mehr da oben sein können. Doch irgendwann reicht das Rosa nicht mehr, ich wollte wieder in meinem Blau sein. Nicht in der Chair Force. Hätte ich Eier, dann wäre ich jetzt kastriert, die ganze Ausbildung für nichts. Drohnen-»Pilotin« ... — ich sitze in einem klimatisierten Container in der Wüste, habe einen Joystick in der Hand und spiele mit dem 19-jährigen Freak aus meinem Team neben mir Krieg. Ich war Kampfpilotin, Pilotin einer F16! Und dann stolzes Mitglied der Sesselfurzer sein? Es gibt keine Worte, diese Erniedrigung zu beschreiben.
Mit der »Reaper« fühle ich mich gedemütigt, nicht gebraucht. »Reaper«, das heißt Vollernter, Sensenmann — 40 Stunden Luftpräsenz, die ist mit allem beladen, was Bumm macht. Ich glotze auf den Bildschirm mit Infrarot, Wärmebild, Radar. Vertikal nach unten. In der F16 war alles nach vorn gerichtet, horizontal, geradeaus. Ich war in einem echten Kampfgebiet, jetzt sitze ich in Nevada und steuere die »Reaper « irgendwo über der Wüste in Afghanistan. 1,2 Sekunden, das ist das Einzige, was mich daran fasziniert. Ich bewege den Joystick und in 1,2 Sekunden vollzieht die »Reaper« meine Bewegung mit, Tausende Meilen entfernt. Auch wenn ich die Hellfire auslöse, dann ist das wie ein Spiel, unecht. Ich töte Leute, von denen mein Team sagt, dass die böse sind, und wenn mein Team sagt, dass irgendjemand da in dem Grau auf dem Bildschirm weg muss, dann tue ich das. Nur der Blick auf das Grau des Bildschirms zeigt das Töten, die Explosion. Ich beobachte Tag für Tag, aber werde nicht auch ich so beobachtet? Das Grau auf dem Bildschirm hat sich nach und nach auf alles übertragen. Auf mich, auf den Alltag, auf das Rosa und das Blau. Ich weiß, dass mit mir irgendetwas nicht mehr stimmt. Bleibe ich für immer im Grau?

Marie Luisa Kerkhoff
Christian Katzschmann

»Am Boden« hat in der Inszenierung von Andreas Nathusius, ausgestattet von Susanne Harnisch, am 15. März 2019 im Podium Premiere.
Die Kampfjet- und Drohnenpilotin wird gespielt von Marie Luisa Kerkhoff.

AutorIn: Dr. Christian Katzschmann
Datum: 19.02.2019