WIE KLINGT »LES CONTES D'HOFFMANN«, PANAGIOTIS PAPADOPOULOS?

Panagiotis Papadopoulos hat bei »Les Contes d'Hoffmann«, Jacques Offenbachs »fantastischer Oper« in fünf Akten, als Musikalischer Leiter den Dirigierstab in der Hand. Premiere ist am 30. März 2023 im Großen Haus. Im Interview verrät Panagiotis Papadopoulos, was Offenbachs letztes Werk so geheimnisvoll, so hörens- und sehenswert macht und wie er seine erste Zeit am Theater Ulm erlebte.

Du bist seit Beginn dieser Saison neuer 1. Kapellmeister am Theater Ulm. Wie hast Du die vergangenen Monate erlebt?

Panagiotis Papadopoulos: Der Geist, der an diesem Theater herrscht, beeindruckt mich. Die Menschen arbeiten kompetent, lösungsorientiert und erfahren und fühlen Liebe für das Theater. Sie lieben ihre Arbeit, möchten sie gut machen und wünschen sich, dass das Publikum beglückt nach Hause geht. Wenn irgendetwas nicht perfekt läuft, sehe ich, dass die Mitarbeiter betrübt sind – beim nächsten Mal haben sie den Ehrgeiz, dass es noch besser wird, um dem Publikum gerecht zu werden.

Hast Du in Ulm schon einen Lieblingsort entdeckt?

Noch nicht. Es gibt einige Orte, die infrage kommen, allerdings habe ich viele noch nicht gesehen. Beim Spazierengehen bin ich immer wieder überrascht, wie viel Neues es hier zu entdecken gibt.

Was bedeutet Dir die Oper »Hoffmanns Erzählungen«?

Ich habe »Les Contes d'Hoffmann« schon einmal miterlebt: am Theater Lübeck, als Korrepetitor. Mit der Problematik und der Genialität des Stückes bin ich vertraut – zumindest, soweit das möglich ist, denn die Umstände der Entstehung der Oper sind so besonders, dass wohl kaum jemand behaupten kann, er sei gut mit ihr vertraut.

Welche Anteile sind problematisch, welche sind genial?

Die Musik und Jacques Offenbachs Intentionen sind genial. Problematisch ist, dass die Oper nicht vollendet überliefert wurde – was wiederum zu ihrer Genialität beiträgt. Von Offenbach existieren zahlreiche mögliche Fassungen, zum einen, weil er frühzeitig verstorben ist, zum anderen, weil er dieses Stück als sein Vermächtnis betrachtet hat: Offenbach wollte uns seine Kunstanschauung überliefern und hat es sich mit diversen Versionen und verschiedenen Anordnungen der Szenen schwer gemacht. Man spürt in jeder Note und Melodiewendung, wie viel ihm diese Musik bedeutete. Es wird von »Hoffmanns Erzählungen« nie eine finale Version geben.

Welche Fassung wird in Ulm aufgeführt?

Wenn man Offenbachs verschiedene Fassungen vergleicht, erkennt man, dass er Homogenität angestrebte. Es gibt in seinen ersten Fassungen beispielsweise Passagen, die in E-Dur gehalten sind und ganz ähnliche in C-Dur: in einer späteren Fassung hat Offenbach beide Passagen in C-Dur komponiert, um Korrespondenzen und Verwandtschaften zwischen ihnen herzustellen. Solche Entwicklungen berücksichtige ich in der Ulmer Fassung und versuche, mich Offenbachs finaler Fassung zu nähern. Wir streichen Elemente respektvoll: so, dass es zur kompositorischen Technik in der Zeit Offenbachs passt und nicht fremd wirkt. Es soll ein einheitlicher Klang entstehen. Die musikalischen Anteile allerdings, die im Laufe der Jahrhunderte hinzukomponiert wurden, streichen wir bis auf wenige Ausnahmen.

Was zeichnet die Oper aus?

Dramaturgisch geht es um Themen, die universell sind: die Liebe und das Scheitern in der Liebe. Dieses Gefühl dürfte alle Menschen einen — vermutlich gibt es niemanden, der in der Liebe noch nicht gescheitert ist. In »Les Contes d'Hoffmann« erlebt man unterschiedliche Facetten des Strebens nach Glück.

Die Musik wiederum zeichnet Feingefühl und eine unmittelbare Wirkung der Melodik aus. Man kann sich als Zuschauer mit den Melodien und dem, was sie vermitteln möchten, sofort identifizieren. Selbst, wenn jemand das Libretto nicht versteht, kann er spüren, dass die Musik mit Sublimität von starker Sehnsucht, Trauer und Einsamkeit erzählt.

Die drei mittleren Akte erzählen von den imaginierten Liebesabenteuern des Schriftstellers Hoffmann: Olympia, Antonia und Giulietta. Unterschiedliche musikalische Stile zeichnen die Akte aus. Welche sind das?

Im Olympia-Akt erklingt französische Operette: das Tänzerische ist im Puls der Musik hörbar. Der Antonia-Akt hingegen rückt näher zur Grand opéra, sein Tempo ist langsamer. Das magische Element tritt im Akt der Giulietta hervor: mit der berühmten Barcarole, die ursprünglich aus einer Operette Offenbachs stammt. Der Giulietta-Akt ist für mich am besten mit einem Bild beschreibbar: Es ist, als ob der Mondschein sich auf dem Wasser Venedigs spiegelt — zwischen Impressionismus und van Gogh.

Wie möchtest Du die Oper interpretieren?

Die tänzerischen Elemente der französischen Operette möchte ich in den Vordergrund bringen, ebenso wie die zauberhaften Anteile der Musik, die mit der Dramaturgie in Verbindung stehen. Auch tritt in der Handlung der Oper eine Vielzahl von Figuren auf, die beständig für Abwechslung sorgen: Trotzdem will ich erreichen, musikalisch große Einheiten und Bilder zu erzeugen.

Worauf kann sich das Ulmer Publikum freuen?

Unter anderem auf ein sehr ambitioniertes Ensemble. Zudem hat das Philharmonische Orchester eine klangliche Qualität, die wunderbar zu diesem Stück passt: In der DNA des Orchesters steckt ein heiterer und farbenreicher Klang.

Was ist das Besondere der Besetzung?

In den vergangenen Jahren hat sich an vielen Opernhäusern etabliert, dass Olympia, Antonia und Giulietta von einer einzigen Sängerin dargestellt werden, ebenso wie die dämonischen Figuren, in die sich Hoffmann aufsplittet. Die drei Frauen symbolisieren unterschiedliche Facetten der Sehnsucht Hoffmanns nach der großen Liebe. In unserer Inszenierung ist Maryna Zubko in allen drei Partien zu erleben.

Das Publikum kann auf weitere tolle Sängerinnen und Sänger gespannt sein: unter anderem auf Markus Francke, der sich in »La Légende de Tristan« bewiesen hat und sich sicher freut, nun eine andere Seite französischer Musik zu interpretieren. Dae-Hee Shin vereint in seiner Stimme das Dämonische seiner Partien. Und I Chiao Shih, welche die leichte und etwas spöttische Seite der Muse verkörpert, wird damit bestimmt für ein Erlebnis sorgen.

Worauf freust Du Dich in der kommenden Zeit am Theater Ulm?

Ich bin glücklich, dass meine Aufgaben künstlerisch sehr befriedigend sind: Ich darf schöne und bedeutende Musik unterschiedlicher Gattungen interpretieren. Nach einem herausfordernden Beginn der Spielzeit freue ich mich auf das Musical »Sister Act«. Es wird humorvoll, mit einer tollen Besetzung und vielen verschiedenen Persönlichkeiten.

Das Interview führte Christian Stolz

 

Panagiotis Papadopoulos studierte in seiner Heimat, Griechenland, Klavier, Musikwissenschaft und Musiktheorie, bevor er das Dirigierstudium an der UdK Berlin, bei Prof. L. Köhler, aufnahm. Seine Theaterlaufbahn begann er am Theater Lübeck, wo er sich ein breitgefächertes Repertoire erarbeitet hat. Dort etablierte er eine Konzertreihe Moderner Musik, wodurch das Theater eine neue Spielstätte und neues Publikum gewinnen konnte. 2017 wechselte er als Erster Kapellmeister an das Landestheater Mecklenburg. Seine Produktion von E. Kálmáns »Die Bayadere« wurde von der Redaktion des Bayerischen Rundfunks ausgezeichnet, eine Auszeichnung, die zum ersten Mal im Norddeutschen Raum verliehen wurde. Nach einer Zwischenstation an seiner Alma Mater wechselte er 2019 als Kapellmeister und Studienleiter zum Theater für Niedersachsen, wo er u.a. »Carmen«, »La Traviata« und »Die Fledermaus« dirigierte. Papadopoulos engagiert sich auch für soziale Themen. 2017 durfte er ein Klavierkonzert zugunsten der Lübecker Flüchtlingshilfe in der renommierten St. Marienkirche zu Lübeck spielen. Im März 2022 dirigierte er mit dem übergreifenden Titel »Trost« ein Bach-Kantaten-Konzert am Theater für Niedersachsen. Dazu inspiriert hatte ihn dazu das Bedürfnis nach Zusammenkommen nach der erheblichen sozialen Entfremdung in der Zeit der Corona-Pandemie, das Konzert konnte auch als Unterstützung für die in Niedersachsen ansässigen ukrainischen Flüchtlinge dienen.