LEBEN IN DEUTSCHLAND, SINGEN AUF ENGLISCH

Der aus Irland stammende Tenor Joshua Spink ist seit 2020 Ensemblemitglied am Theater Ulm. Er verkörpert die Figur des Clockkeepers in der Deutschen Erstaufführung von »Violet«. In diesem Text schreibt er darüber, wie es sich anfühlt, in der eigenen Muttersprache zu singen.

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Foto: Joshua Spink

Eine neue Theatersaison hat begonnen, ein neuer Tag ist angebrochen. Die Opernwelt macht post-pandemische Schritte; Sänger planen Vorsingen und Agenten machen sich auf die Suche nach spannenden Nachwuchstalenten. In Ulm stehe ich derweil vor meiner eigenen Saison-Herausforderung.

Ich spiele zum ersten Mal in Deutschland in einer englischsprachigen Oper, in einem Werk, das mich an den Science-Fiction-Film »Inception« erinnert. Englisch zu singen, das ist, gelinde gesagt, eine mentale Aufgabe, aber dazu gleich mehr.

»Violet, you're turning violet!« (aus »Charlie und die Schokoladenfabrik«)

Die fragliche Oper ist Tom Coults »Violet«. Diese aufregende neue Komposition wurde im Sommer in England uraufgeführt. Ulm freut sich, als zweites Theater dieses Stück auf die Bühne bringen zu dürfen – Ende Oktober präsentieren wir die Deutsche Erstaufführung.

»Violet« beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Zeit. Die Bewohner einer Stadt stellen fest, dass die Zeit nach und nach verschwindet. Dieses Gefühl kommt mir bekannt vor: Mein Blog »Singing and Sauerkraut« feiert ungefähr zur Zeit der Premiere seinen zweiten Geburtstag – ob Sie es glauben oder nicht.

Singen auf Englisch – in Deutschland

Wieder einmal in einer englischen Oper aufzutreten ist für mich eine ehrenvolle Aufgabe. Warum, fragen Sie?

Opern-Albtraum

Nun, erstens denke ich immer noch, dass ich gegen die Regeln verstoße: Bei meinen vergangenen Rollen war Englisch verboten. Jetzt wurde mir die volle Erlaubnis gegeben, meine Muttersprache zu verwenden. Ich warte darauf, dass mir jemand sagt, dass es ein ausgeklügelter Streich war und dass wir das Ganze eigentlich auf Deutsch aufführen müssen. Dann wache ich in kaltem Schweiß auf!

Proben UND Coachen

Zweitens bin ich bei den Proben der Englisch-Dialekttrainer. Diese Erfahrung hat mir unglaublich die Augen geöffnet. Aus der Perspektive des Muttersprachlers sehe ich, wie schwierig es ist, im »King's English« (dem British English-Standardakzent) überzeugend zu singen. Gesprochenes Englisch folgt oft ganz anderen Regeln als gesungenes Englisch. Das R rollen oder nicht rollen?

Wenn ich eine andere Sprache spreche, scheinen zwei Laute genau gleich zu sein. Nur ein Muttersprachler kann die feinen Unterschiede in der Lautbildung erkennen. Jetzt verstehe ich, warum Deutsche manchmal Schwierigkeiten haben, meine Deutsch-Versuche zu verstehen.

Herausforderung angenommen

Ja, der Saisonstart am Theater Ulm ist voller ausgefallener Drehungen und Wendungen. Habe ich schon erwähnt, dass unsere Inszenierung von »Violet« in einem Autohaus stattfindet?

Ich würde es mir auch nicht anders wünschen. Die Musik ist sinnlich und meine Kolleginnen und Kollegen sind großartig. Seien Sie versichert: Diese Vorstellung wird umwerfend!

Es kann also niemand behaupten, dass es langweilig ist, ein Opernsänger zu sein, oder?

Text von Joshua Spink