»KAUM ZEIT ZUM ATEMHOLEN« — ERICA ELOFF, SUSANNE SERFLING UND MARKUS FRANCKE IM GESPRÄCH MIT BENJAMIN KÜNZEL

Künzel: Danke, dass Ihr Euch während der anstrengenden Endproben Zeit für ein kleines Interview nehmt. Immerhin sind die fordernden Partien der Leonore und des Florestan für zwei von Euch Rollendebüts. Wie bei Dir, Erica. Du hattest in diesem Jahr bei den Göttinger Festspielen einen Riesenerfolg als Händels Rodrigo. Nun kommt die Leonore. Das sind auf den ersten Blick unterschiedliche Stimmfächer. Markiert dieses Rollendebüt einen Fachwechsel?

Eloff: Für mich ist es einfach die Fortsetzung. Beethoven ist noch nicht Wagner. Zudem muss Fidelio jung und frisch klingen. Immerhin überzeugt sie ein Gefängnis voller Männer (inklusive einer hormongesteuerten jungen Frau), sie sei ein Jüngling vor dem Stimmbruch. Die Tessitura, in der Beethoven die Leonore komponiert hat, liegt nah an Mozarts Fiordiligi in »Così fan tutte« — eine meiner Lieblingsrollen.

Künzel: Was ›braucht‹ man als Sängerin für Beethovens Leonore? Susanne, Du hast bereits Erfahrungen mit der Partie.

Serfling: Die Leonore bei Beethoven liegt eigentlich zwischen dem lyrischen und dramatischen Fach. Beethovens Musik an sich ist sehr instrumental komponiert, in den Stimmen vielleicht vergleichbar mit einer Klarinette im Orchester mit feinen Linien, Verzierungen, schnellen Läufen. Immer schlank und ohne große Richard- Strauss-Bögen, was einen Unterschied in der Stimmführung bedeutet.

Eloff: Leonore ist ein Prüfstein. Sie verlangt große emotionale Tiefe, aber ebenso Kontrolle. Obwohl ich die Partie schon einmal studiert habe, fühle ich mich erst jetzt in der Lage, sie wirklich zu singen. Meine Körpergröße hilft mir außerdem, als Mann zu agieren.

Künzel: Markus, Du beweist seit letzter Spielzeit in Ulm eine enorme stilistische Vielseitigkeit: der Schulmeister im »Schlauen Füchslein«, der Edgardo in »Lucia di Lammermoor«, der Fremde im »Vetter aus Dingsda«, der Erik im »Fliegenden Holländer« und einer der Engel in »Written On Skin«. Jetzt kommt Dein Rollendebüt als Florestan. Das ist in dieser Souveränität eine ungewöhnliche Bandbreite.

Francke: Die Anforderungen waren in der Tat sehr unterschiedlich. Generell versuche ich immer, so tief wie möglich in eine Figur einzutauchen, was auch heißt, sich mit den jeweiligen stimmtechnischen Herausforderungen auseinander zu setzen. Das geht manchmal schneller, manchmal braucht man ein wenig mehr Zeit.

Künzel: Was bedeutet es eigentlich, im »jugendlich dramatischen« Fach zu singen? Singt Ihr jetzt ›anders‹ als früher?

Serfling: Ich bin in dieses Fach hineingewachsen mit Partien wie Madama Butterfly, Katja Kabanová, Sieglinde oder auch Salome. Im besten Fall wächst eine Stimme mit Ihren Aufgaben, wenn sie richtig gepflegt wird und die Voraussetzungen zu dieser Entwicklung mitbringt.

Francke: Natürlich muss die Stimme für dieses Fach eine gewisse Durchschlagskraft haben, oder sich — wie es in meinem Fall passiert ist — mit der Zeit entwickeln. Insofern mache ich erstmal nichts anders als vorher, ich singe, so gut ich kann. Allerdings muss man die Energie bewusster einteilen, also nicht zu früh oder in der Tiefe und Mittellage zu viel geben. Auch die physische Herausforderung ist anders.

Serfling: In diesem Fach zu singen, bedeutet in manchen Partien eine enorme Kraft, Ausdauer und Strapazierfähigkeit der Stimme und des Körpers. Wenn das alles gesund aufgebaut wurde, macht es Spaß und ist keine zu große Anstrengung.

Künzel: Ist Beethovens Musik »tückisch«?

Eloff: Die Gefahr liegt darin, dass man sehr schnell nur die Dramatik sehen möchte. Dann wird es oft laut und unerbittlich. Ich finde es hilfreich, die Musik als Kammermusik im weitesten Sinne zu begreifen. Sie braucht feine Nuancen und lebt auch von zarten Momenten. Herr Handschuh legt dahingehend besonderen Wert auf das Einhalten der dynamischen Bezeichnungen und der Phrasierung. Das hilft enorm — auch den Text im Blick zu behalten und ihn nicht dramatisch zu übertönen.

Serfling: Meine Devise bei Leonore ist: Immer einen kühlen Kopf bewahren, obwohl es im Herzen lodert!

Künzel: Lässt sich bei Florestan ein kühler Kopf bewahren? Er gehört immerhin zu den gefürchtetsten Tenorpartien.

Francke: Beethoven gönnt dem Florestan kein ›Reinkommen‹. Es geht sofort los: Dramatik, hohe Töne, lange, buchstäblich atemberaubende Linien, fast liedhafte Abschnitte und ein Arienende, das sicherlich zum Schwersten gehört, was bis dahin für Tenor komponiert wurde. Und das ist nur der Anfang! Florestan hört letztlich bis zum Stückende nicht mehr auf zu singen. Die Gefahr, sich zu ›versingen‹, ist hier bestimmt mehr gegeben, als bei vielen anderen Tenorpartien. Florestan erfordert vor allem Mut und Disziplin. Kraftvolle, starke Passagen wechseln sich ab mit Phasen größter Verletzlichkeit. Das macht für mich den Reiz aus. Alles ist drin — von zartester Lyrik bis hin zu höchster Dramatik.

Künzel: Gibt es für Euch Lieblingspassagen in »Fidelio«?

Serfling: Oh ja! Im Rezitativ meiner Arie, wo Leonore die Hoffnung an Ihre Liebe bindet: »Komm, o Hoffnung ... erhell’ mein Ziel ... die Liebe wird’s erreichen.« Im Duett mit Florestan, wo es zwei wunderbare Moll-Stellen mit den Worten »O namenlose Freude!« gibt. Und natürlich im Finale mein »O Gott, o Gott, welch ein Augenblick!«

Francke: Für mich sind es meine ersten Töne (wenn sie gut gelingen ...). Und dann das unglaublich schöne Duett Florestan- Leonore.

Eloff: Eine meiner Lieblingsstellen ist im Duett zwischen Pizarro und Rocco: »Er sterb' in seinen Ketten!« Die melodische, harmonische und dynamische Spannung ist so aufregend und zugleich von so großer Schlichtheit. Da bekomme ich jedes Mal Gänsehaut. Ich liebe auch den Chor der Gefangenen. Offenbar habe ich eine Schwäche für Männerstimmen in Ensembles. (lacht)

Künzel: Warum muss man den Ulmer »Fidelio« gehört und gesehen haben?

Serfling: Die Ulmer Fassung beinhaltet musikalische Besonderheiten und geht atemlos, ohne Pause und Dialoge, in einem großen Spannungsbogen durch das Stück — was ohne die präzise Personenregie und die fantastischen Sängerinnen und Sänger natürlich nicht möglich wäre.

Francke: Im »Fidelio« ist nicht nur ein gewohnt spielfreudiges Ensemble zu erleben, sondern Dietrich W. Hilsdorf präsentiert auch eine sehr dichte, packende Version. Das fordert die Zuschauer und lässt kaum Zeit zum Atemholen.

Eloff: Ich will keine Überraschungen vorwegnehmen, denn es gibt einige. Kommen Sie einfach!