HENDRIK HAAS NIMMT ABSCHIED

Hendrik Haas, geboren 1972 in Solingen, hatte seit 2011 mehrere verantwortungsvolle Positionen am Theater Ulm inne: Er war Chordirektor, Kapellmeister, Assistent des Generalmusikdirektors und zuletzt Studienleiter. Nun wechselt er von der Donau an den Rhein: Seit November 2022 arbeitet Hendrik Haas als Chef de Chœur an der Opéra national du Rhin in Strasbourg. Das Theater Ulm wünscht ihm alles Gute für seine neue Aufgaben! Welche das sind und was ihn an Ulm erinnern wird, verrät der studierte Dirigent und Kirchenmusiker im Abschieds-Interview.

 

Wie lautet das Fazit Deiner Zeit am Theater Ulm?

Es waren elf Jahre, in der ich eine Fülle von Erfahrungen gemacht habe, die mir sehr viel wert sind. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, an so vielen unterschiedlichen Projekten beteiligt zu sein.

Welches waren Deine persönlichen Höhepunkte?

Eines meiner persönlichen Highlights in meiner Tätigkeit als Chordirektor war die Einstudierung von Richard Wagners »Lohengrin« in der Spielzeit 2015/16. Das hat mir und vor allem den Herren vom Opern- und Extrachor sehr viel Spaß gemacht. Ich denke gerne an die Premierenfeier zurück: Nachdem die Chor-Herren bereits stundenlang in der Vorstellung gesungen hatten, brachten sie aus lauter Freude trotzdem noch die Energie auf, mit mir in der Kantine einige Chorstücke zum Besten zu geben.

Für mich war es eine schöne Überraschung, dass ich während meiner Zeit am Theater Ulm viele bedeutende Stücke dirigieren durfte. Als Dirigent besonders erfreut hat mich neben »Lohengrin« auch Puccinis »Turandot« in derselben Spielzeit sowie 2018 »Die glückliche Hand« von Arnold Schönberg. Auch das erste Musical, das ich am Theater Ulm miterlebt habe, »Sugar« im Jahr 2012, war eine tolle Erfahrung, vor allem die Big Band-Section.

Alte Musik habe ich ebenfalls sehr gerne interpretiert, da ich Kirchenmusik studiert habe: In guter Erinnerung bleibt mir zum Beispiel ein Motetten-Zyklus von Orlando di Lasso.

Wie war Dein Weg ans Theater Ulm?

2011 habe ich am Theater Ulm angefangen. Zuvor war ich ab 2006 fünf Jahre am Badischen Staatstheater Karlsruhe als Solorepetitor und stellvertretender Studienleiter und später als Assistent des Chordirektors angestellt. Davor arbeitete ich zwei Jahre am Theater Pforzheim, ebenfalls als Studienleiter. Die erste Stelle, die mich geprägt hat, war 2001 als Solorepetitor am Gärtnerplatztheater München. Es war super, das große Repertoire des Gärtnerplatztheaters mitzuerleben. Im Bereich des Dirigierens wollte ich mehr Erfahrung sammeln. Die Stelle des Chordirektors in Ulm hat mich sehr gereizt.

Wieso arbeitest Du gerne mit dem Chor?

Es macht mir Freude, jemandem etwas beizubringen und zu versuchen, mich ich in den Menschen hineinzuversetzen: Was benötigt der- oder diejenige, um gut mit der Musik zurechtzukommen?

Du warst hier in Ulm nicht nur Leiter des Opernchors, sondern auch des Extrachors, der aus Amateur-Sängerinnen und -Sängern besteht ...

Die Menschen, die im Extra-Chor mitwirken, sind sehr motivierte Theater-Fans, die viel Zeit ins Theater investieren. Mir hat es Spaß gemacht, zu erleben, welch hohe Motivation die Mitglieder aufbringen, vor allem, wenn sie neben der Probenteilnahme auch Veranstaltungen wie die Matinée eines Stücks besuchen, um einen tieferen Einblick zu bekommen. Es ist viel Begeisterung und Herzblut zu spüren.

Was hat Dir für Deine Aufgaben die nötige Motivation gegeben?

Beflügelnd war es für mich und die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, wenn das Gefühl entstand, etwas Sinnstiftendes zu tun: wenn das Stück uns gemeinsam zu einem Ziel führte.

Es gibt zudem einige Projekte, die mich besonders erfüllt haben, zum Beispiel das Musical »Evita« 2019 auf der Wilhelmsburg. Dort war – zusätzlich zum Opernchor, dem Extrachor und den singenden Statisten – ein Kinderchor beteiligt. Zweimal in der Woche bin ich in die beteiligten Schulen nach Blaustein und Söflingen gefahren, um mit den Kinderchören zu proben. Ich bin stolz darauf, dass ich die Vorbereitung all dieser Chöre alleine organisiert habe (lacht). Hinter dem Job des Chordirektors steckt auch ein großer bürokratischer Anteil. Mindestens ein Drittel ist Verwaltungsarbeit an einem Theater wie in Ulm: Die Bereitstellung von Noten, die Planung der Probenstruktur, die Organisation der szenischen Proben, Absprachen mit der Regie ...

Wie blickst Du Deiner neuen Stelle als Chordirektor an der Opéra national du Rhin Strasbourg entgegen?

Ich bin dort verantwortlich für einen 40-köpfigen Chor. Das ist eine Herausforderung. Auf die andere Kultur in Frankreich bin ich sehr gespannt, dort zu leben, zu arbeiten. Ich freue mich darauf, Französisch zu sprechen und mich in etwas Neues einzufinden. Das Opernhaus in Strasbourg hat unter anderem einen guten Ruf in der Wiederentdeckung von Stücken.

Fühlst Du Dich schon heimisch in Strasbourg?

Ich bin noch dabei, dort »anzukommen«. Es gibt viele neue Namen, die ich lernen muss. Die Struktur am Theater ist anders. Es gibt Leute, die mich bei der Verwaltungsarbeit unterstützen, wodurch ich mich auf die künstlerischen Aspekte konzentrieren kann.

Welches ist Dein erstes Stück als dortiger Chordirektor?

»Die Zauberflöte« von Wolfgang Amadeus Mozart.

Was wirst Du an Ulm vermissen?

Einiges, zum Beispiel den Wald am Roten Berg, ich bin dort oft gejoggt und spazieren gegangen. So etwas Schönes habe ich in Strasbourg noch nicht gefunden (lacht).

Welchen Wunsch möchtest Du dem Ulmer Theaterpublikum hinterlassen?

Mein Wunsch ist, dass das Publikum sein Theater wertschätzt. Das Theater Ulm ist ein Juwel! Es bietet Kulturleben auf hohem Niveau. Die generelle Größenunterteilung in A-, B-, C- und D-Theaterhäuser mag auf einer übergeordneten bürokratischen Ebene sinnvoll sein – viel mehr zählt jedoch, dass ein Theater wie in Ulm ein so tolles Repertoire in drei Sparten hat. Das muss man genießen und da sollte man stolz drauf sein, auch auf die Künstlerinnen und Künstler!

Das Interview führte Christian Stolz