»DIE KUNST IST DIE RICHTIGE AUSWAHL« - VIDEO-KÜNSTLER MARTIN KEMNER IM INTERVIEW

Bei der Inszenierung der zeitgenössischen Oper »Written on Skin« im Theater Ulm treffen unzählige Experten aufeinander, um ein Kunstwerk zu erschaffen, das für die ZuschauerInnen gleichermaßen akustisch und ästhetisch zu einem Erlebnis wird. Neben den Gewerken, die das Bühnen- und Kostümbild der Ausstatterin Petra Mollérus verwirklichen, der Technik, welche den Bühnenauf- und abbau sowie die Bühnenmechanik organisiert und durchführt, oder der musikalischen Leitung und den Korrepetitoren, die mit dem Orchester und mit den SolistInnen die Oper einstudieren, hat der Regisseur Kay Metzger noch einen weiteren Künstler ins Boot geholt, der für die Inszenierung eine zusätzliche visuelle Ebene erschaffen wird. 

Der Videodesigner Martin Kemner ist gelernter Diplom-Schauspieler und hat als solcher einige Jahre fest an verschiedenen Stadt- und Landestheatern gearbeitet. Seit etwa 20 Jahren ist er freiberuflich tätig und arbeitet nicht nur als Schauspieler sondern auch als Videodesigner, Regisseur, Filmemacher sowie Theater- und Medienpädagoge. Seine ersten Videoarbeiten hat Martin Kemner für freie Tanztheaterproduktionen gedreht, anschließend hat er Musicals und Opern, gelegentlich auch Schauspiel videoästhetisch begleitet. Derzeit fokussiert er sich auf interaktive Installationen, mit und ohne Performance. Für die Wiederaufnahme der Produktion »Written on Skin«, die zuvor bereits in Detmold und an der Königlichen Oper Stockholm aufgeführt wurde, ist Martin Kemner nach Ulm gereist, um seine ursprüngliche Arbeit mit den KünstlerInnen vor Ort neu zu drehen. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.

 

Herr Kemner, Sie arbeiten unter anderem außer als Schauspieler und Regisseur auch als freier Videokünstler. Wie kamen Sie zu dieser Erweiterung Ihres Berufsfelds?
Ich habe mich seit frühester Jugend für Foto und Film sowohl technisch als auch ästhetisch interessiert. Ein (abgebrochenes) Diplom-Physikstudium und ein (abgeschlossenes) Diplom-Schauspielstudium spiegeln diesen Dualismus ganz gut wieder, finde ich. Beim Videodesign kann ich diese beiden, auf den ersten Blick widersprüchlichen Interessen, ganz gut zusammenführen.

Sie arbeiten mit Kay Metzger nun bereits zum dritten Mal an seiner Inszenierung von »Written on Skin«. Wie ist diese Zusammenarbeit und die Konzeption der Videos entstanden?
Kay Metzger hatte 2007 meine Videoarbeit für das Musical »Tommy« am Stadttheater Bremerhaven gesehen und rief mich für »Written on Skin« an. Er eröffnete mir gleich zu Anfang, dass er Video auf der Bühne eigentlich nicht mag, aber konzeptionsbedingt nicht darauf verzichten könne. Da ich selbst von der Bühne komme, musste ich ihm zustimmen – ich bin regelmäßig enttäuscht zu sehen, wie Video auf der Bühne eingesetzt wird, und finde es oft störend und überflüssig. Mal lenkt es vom Bühnengeschehen ab, oft wird es einigermaßen zusammenhanglos als Deko eingesetzt oder das Video spielt sich massiv in den Vordergrund. Ich kenne verschiedene Methoden, dies zu verhindern und mein Ziel ist es immer, dem jeweiligen Stück eine weitere künstlerische Ebene zu geben. 

Written Dreh Auswahl 1993   Written Dreh Auswahl 2002

Laut der »Financial Times International« ist Ihnen das bei »Written on Skin« besonders gut gelungen. Was war Ihre Intention beim Dreh? Was finden Sie am Medium Video als Ergänzung für eine Inszenierung auf der Bühne besonders spannend?
Die besondere Herausforderung bei »Written on Skin« ist es, die rechteckige Projektionsfläche nicht als Kinoleinwand misszuverstehen, sondern – unter anderem – als Fenster zu den inneren Welten der Figuren. Mit Video sind unter anderem ebensolche Dinge möglich, die mit konventionellen Theatermitteln nicht oder nur sehr schwer darstellbar sind. Beispielsweise die extreme Verlangsamung oder Beschleunigung von Vorgängen, extreme Nahaufnahmen und die Umkehr von eigentlich unumkehrbaren Vorgängen. Das sind Alleinstellungsmerkmale von Video auf der Bühne. Die Kunst ist die richtige Auswahl, die richtige Bearbeitung und die Beschränkung auf das Wesentliche.

Sie haben die Videos, die Sie schon für die Detmolder Inszenierung produziert haben, für die Wiederaufnahmen in Stockholm und nun Ulm neu aufgenommen. Wie empfinden Sie die Arbeit eines »Nachdrehs« mit neuen KünstlerInnen?
Ich bin immer etwas aufgeregt, weil ich die DarstellerInnen nicht kenne und die Zeit knapp ist. Ich hoffe und vertraue auf meine Erfahrung und die Bereitschaft der DarstellerInnen. Danken muss ich bei »Written on Skin« besonders der Bühnenbildnerin Petra Mollérus für die perfekte Vorbereitung und allen technischen Gewerken von Licht über Kostüm bis Maske, die mich bei den Nachdrehs umfänglich unterstützen. Das ist nicht selbstverständlich, Wochen vor der Premiere.

Written Dreh Auswahl 2037   Written Dreh Auswahl 2037

Haben Sie den Anspruch das Video mit den neuen DarstellerInnen eins zu eins zu replizieren oder kommen bei einer Wiederaufnahme neue Impulse zu ihrer Arbeit hinzu, welche die Aufnahmen verändern?
Ich habe den Anspruch die gleiche Intensität und Wirkung zu erzeugen. Manchmal ergeben sich dadurch Änderungen, da sich die DarstellerInnen naturgemäß unterscheiden. Es gibt Menschen, die lieben es vor einer Kamera zu spielen, anderen ist das eher unangenehm. Besonders bei Nahaufnahmen mit OperndarstellerInnen macht sich das bemerkbar.

Wie eng arbeiten Sie bei Projekten für Inszenierungen mit der Regie und der Ausstattung zusammen?
Ich empfinde die Zusammenarbeit als sehr eng. Nach den Vorgesprächen entwickele ich erste Ideen und stelle sie Regie und Ausstattung vor. Wenn es die Zeit erlaubt, besuche ich Proben, um einen unmittelbaren Eindruck vom Geist der Produktion zu bekommen, Kontakt zu den DarstellerInnen etc. Da ich in der Planungs- und Probenphase lediglich die Videos auf einem Computerbildschirm zeigen kann, ist es für AusstatterIn und Regie oft schwierig sich das im Bühnenkontext vorzustellen. Ganz besonders trifft das zu, wenn die Projektionen auf andere Materialien treffen als eine gewöhnliche Leinwand. Das ist dann eine Frage des Vertrauens und/oder der gemeinsamen Erfahrung. Wann immer möglich projiziere ich die Videos virtuell in ein Bühnenbildmodell, da die echten Aufbauten ja meist noch in den Werkstätten sind, und Video auf der Bühne immer noch ein eher neues Medium ist. Daraus entwickelt sich nach und nach die Fassung für die ersten Licht- und Hauptproben, in denen überprüft werden kann, ob all die Ideen auch so funktionieren, wie man sich das ausgedacht hat. Für die endgültige Fassung habe ich dann zwischen 3 und 7 Tagen Zeit für Korrekturen, Anpassungen und im Extremfall auch Neuentwicklungen.

Written Dreh Auswahl 2257  Written Dreh Auswahl 2257

In welcher Art arbeiten Sie sonst als Video-Künstler? 
Ich arbeite überwiegend mit TänzerInnen und Tanz-Compagnien an interaktiven Videoinstallationen, in denen Tanz und Videos miteinander verschmelzen. Ich videographiere Musical und Oper - was sich so anbietet und mich interessiert. Außerdem arbeite ich als konventioneller Filmemacher, neuerdings versuche ich mich auch als Videoinstallationskünstler- also Videodesign ohne Theater. Letzen Sommer habe ich z.B. gemeinsam mit dem Künstler Robert Worden einen kleinen Park mit Licht- und Videoinstallationen bespielt. Diesen Sommer nehme ich mit zwei interaktiven Videoinstallationen an der Ausstellung ArtSpace teil.

Das Gespräch führte Sarah Adamus.
Die Fotografien sind von Tobias Rägle.

AutorIn: Sarah Adamus
Datum: 11.04.2019