OHNE ROSAROTE BRILLE: »PINK GUERILLA«

Sein Stück »Jihad Baby« sorgte in der Spielzeit 2018/19 für feurige Diskussionen unter Jugendlichen und Erwachsenen. Jetzt hat Autor Daniel Ratthei exklusiv für das Theater Ulm einen brandneuen, starken Monolog geschrieben: »Pink Guerilla«! Das Thema ist brisant: Es geht um rechtes Gedankengut und wie (junge) Menschen es im Internet auf Plattformen wie »YouTube« verbreiten. Die Hauptfigur des Stücks, Sunny — dargestellt von Schauspielerin Nicola Schubert —, stellt aus Empörung über eine Gewalterfahrung in einer Disco-Nacht ein Video ins Internet. Ihre Klickzahlen sind gigantisch! Mit ihren Meinungsäußerungen bewegt sich Sunny allerdings immer weiter ins rechte Spektrum. Was bedeutet es, rechts zu sein? Sunny durchlebt eine mediale wie private Odyssee.
Autor Daniel Ratthei, Regisseurin Charlotte Van Kerckhoven und Dramaturg Christan Stolz haben sich zu einem Skype-Gespräch verabredet und zwischen Cottbus und Ulm Revue passieren lassen, aus welchen Impulsen das Stück entstand. Horcht hinein!

Daniel Ratthei
Der Zeitgeist hat zugeschlagen, macht Purzelbäume: Rassismus, Phänomene wie »Black Lives Matter« werden stark diskutiert. Das sorgt bestimmt auch bei Euch auf den Proben zu »Pink Guerilla« für Diskussionen, oder?

Charlotte Van Kerckhoven Ja! Wir diskutieren, welches die Unterschiede sind zwischen Linksund Rechtsextremismus. Wir sprechen auch über Alltagsrassismus. In einer Szene wird ja ein Kind als »Mischling« bezeichnet. Wieso prangern wir es so selten an, wenn uns Rassismen im Alltag begegnen?

Christian Stolz Ihr seid beide über die Stückidee intensiv im Austausch gewesen, bevor Daniel damit begonnen hat, den Monolog zu verfassen. Wie seid Ihr in die Arbeit an »Pink Guerilla« gestartet?

Daniel Ratthei Es war schnell klar, dass es thematisch um eine weibliche YouTuberin gehen soll. Und ums Rechtssein. Am Anfang hatte ich Bedenken: Ist Rechtssein nicht ein Thema aus den 90er Jahren? Offensichtlich nicht: Die Rechten sind wieder da!

Charlotte Van Kerckhoven Man hat das Gefühl, das Thema wird immer aktueller. Wir haben uns YouTube-Videos angeschaut und viel darüber gesprochen. Bald habe ich von Daniel eine erste Fassung des Stücks bekommen. In den Text habe ich Vertrauen und finde ihn super. Auf manche Szenen, Aspekte blicken wir unterschiedlich, aber das ist gut, denn das gibt einen Antrieb.

Christian Stolz Wenn man ein wenig googelt, stößt man schnell auf Namen bekannter, politisch rechts orientierter Youtuberinnen und Youtuber: Naomi Seibt, Martin Sellner … Daniel, wie bist Du es angegangen, in der Recherche für das Stück einen Zugang in die von außen fremd wirkende rechte Gedankenwelt zu finden, emotional darin einzutauchen?

Daniel Ratthei Der Prozess ist so, dass ich mir diese Videos ansehe, bis mir schlecht wird. Ich schaue die Clips während der Bahnfahrt, beim Joggen und beim Einschlafen. Martin Sellner zum Beispiel spricht klug, der macht etwas mit einem, und natürlich gerät man dann in eine Abwehrhaltung. Das ist eine spannende Auseinandersetzung.

Christian Stolz Die Sprache Deines Stücks wirkt poetisch, anspruchsvoll, aber trotzdem nah am Slang Jugendlicher, voller Action. Wie entwickelst Du die Sprache für Deine Theaterstücke?

Daniel Ratthei Ich finde, man kann Jugendsprache in Theaterstücken verwenden, muss aber trotzdem Poesie mit hineinbringen. Manchmal hat Jugendsprache bereits erstaunlich poetische Inhalte. Begriffe wie »Du Opfer« oder »Du Lauch« finde ich spannend.

Christian Stolz Über welche Aspekte können Schulklassen nach dem Besuch des Stücks diskutieren?

Daniel Ratthei Ich freue mich, wenn man darüber spricht, wie wir zueinanderfinden, und nicht, wie wir uns spalten. Es geht um das Zusammenfinden.

Charlotte Van Kerckhoven Für mich ist die Frage wichtig: Was macht das mit einem, wenn man etwas sprachlich benennt, zum Beispiel jemanden als »Mischling« bezeichnet? Man kann dazu anregen, vorsichtig mit Sprache umzugehen, oder etwas lieber nicht zu sagen. Im Internet gibt es einen Trend, in Kommentaren alles zu schreiben, was man gerade denkt: Das kann nicht nur verletzend sein, sondern macht auch viel mit der Kommunikation. Ein Wort wie »Mischling« wird dann von anderen multipliziert und der Mensch dahinter darauf reduziert.


Christian Stolz

AutorIn: Christian Stolz
Datum: 25.09.2020