LIEBE BIS IN DEN WAHNSINN: ANSGAR HAAG IM GESPRÄCH

»Lucia di Lammermoor« bringt als Kooperation mit dem Thüringischen Staatstheater Meiningen ein Wiedersehen mit Ansgar Haag. Diane Ackermann traf ihn zum Gespräch.

Die Oper »Lucia di Lammermoor« gilt als Gaetano Donizettis Meisterwerk. In Ulm erlebt man damit ab dem 20. Dezember eine Deiner seltenen Belcanto-Inszenierungen — Du hast bekanntermaßen eine Vorliebe für Komponisten wie Janáček. Welche Qualitäten schätzt Du dennoch an Donizettis »Lucia«?
In Belcanto-Opern machen es die unlogische Struktur der ›Dialoge‹ in den musikalischen Nummern und die vielen Wiederholungen einem Regisseur oft nicht leicht, eine spielerische Situation zu entwickeln. Was mich aber reizt, ist die präzise Darstellung politischer Zustände, die durch ihre exemplarische Reduzierung in den Libretti zeitlos aktuell bleiben.

So kann es auch funktionieren, das Stück aus dem Kontext des 17. Jahrhunderts zu lösen, in dem Walter Scott — auf dessen Roman das Libretto beruht — die Geschichte ansiedelte. Die Ausstattung von Bühnenbildner Christian Rinke und der Kostümbildnerin Renate Schmitzer verweist eher auf die verfallende Schönheit schottischer Adelssitze nach dem Ersten Weltkrieg.
Als vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg endete, entwickelten sich die ersten demokratischen Neuerungen in Deutschland. Donizetti beschreibt in seiner Oper genau einen solchen Vorgang: Nach einem brutalen Bruderkrieg liegt das Land in Trümmern und nur durch Geldgeber von außen kann ein Überleben möglich erscheinen. Lucia, die Schwester des Herrschers, wird daher als Lohn an den Förderer vergeben. Die Überwindung des Krieges soll allerdings durch politische List und Intrigen erfolgen, nicht durch Bewältigung der geschichtlichen Fehler. Die sogenannten Leichen im Keller versucht man zu vergessen, doch sie kehren als Gespenster zurück.

Herzstück der Oper ist die Wahnsinnsszene der unglücklich verheirateten Lucia. In Ulm wird, wie von Donizetti gewollt, eine Glasharmonika zum Einsatz kommen.
Donizetti hat für dieses Instrument komponiert, weil er für die Darstellung des Wahnsinns von Lucia die Möglichkeiten des herkömmlichen Orchesters nicht als ausreichend ansah. Die Glasharmonika, die Klänge von geradezu überirdischer Schönheit ertönen lässt, gab Donizetti die Möglichkeit, den Dialog zwischen der vermeintlich wahnsinnigen Lucia und den nur von ihr — und natürlich dem Publikum — wahrzunehmenden Gespenstern darzustellen. Die Glasharmonika macht die Seele zwischen Realität und Wahn hörbar.

Von 1994 bis 2006 warst Du Intendant am Theater Ulm. Woran erinnerst Du Dich besonders gern?
Natürlich ist mein Erfolg mit Janáčeks »Jenůfa« unvergessen. Dort hatte die Zusammenarbeit mit Angela Denoke ihren Höhepunkt. Philippe Jordan als Dirigent dieser Produktion startete danach eine unvergleichliche Weltkarriere und für mich selbst und das Theater Ulm war die Auszeichnung mit dem Bayrischen Staatspreis 1997 entscheidend für die Weiterentwicklung. Denn mit dem Preisgeld von 50.000 DM konnten wir erstmals große italienische Tenöre als Gast engagieren: Inszenierungen wie »Andrea Chénier« von Umberto Giordano oder meine »Aida« wären anders in Ulm nicht zu realisieren gewesen. Auch meine internationale Karriere als Opernregisseur begann mit dieser Auszeichnung. Ich bin sehr glücklich, dass mich Kay Metzger zu diesem Comeback eingeladen hat und freue mich, hier nach so langer Zeit noch Bekannte am Haus wiederzusehen. Nach wie vor wohne ich auch bei Ulm und habe somit den Kontakt zur Stadt nie verloren.

AutorIn: Diane Ackermann
Datum: 30.11.2018