»KEIN JESUS OHNE JUDAS«

Der Apostel Judas Ischariot gilt als Symbolfigur eines Verräters. Im Ulmer Münster will er seine Taten neu aufrollen.

Judas: Der Jünger, der Jesus für 30 Silberlinge auslieferte – dieses Bild hält sich seit langer Zeit. Im Ulmer Münster erzählt Judas (dargestellt von Markus Hottgenroth) nun seine Version der Geschichte. Ein Rollengespräch mit einem, der seine Rehabilitation verlangt.

 

Judas – nicht viele Menschen tragen Ihren Namen. Wie ist das für Sie, wenn Sie als Judas angesprochen werden?
Ich würde gerne mal wieder die Erfahrung machen, dass die Leute mich ansprechen. Aber selbst das Sprechen über mich hat aufgehört. Viele Leute haben meinen Namen vergessen. Man hat mich ausgemerzt aus den Bildern. Man hat mir den Heiligenschein weggenommen und den Namen. Meist bleibt nur ein Titel übrig: der Verräter. Das ist das einzige, was ich zu hören bekomme.

Das Abendmahl der Jünger, der Judas-Kuss im Garten Gethsemane, die Worte des Verrats – manch einer wird vielleicht nur ein paar Assoziationen mit Ihrem Namen verbinden. Werden Sie uns Neues darüber erzählen, was aus Ihrer Sicht passiert ist, als Sie Jesus‘ Identität preisgegeben haben?
Die Geschichte liegt ganz klar auf der Hand. Jesus hat mir den Auftrag gegeben: Was Du tun musst, das tue schnell. Ich habe mich nicht danach gedrängt, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich selbst wollte es nicht sein, der Jesus ausliefern musste. Ich habe eine Pflicht auferlegt bekommen. Der Beste wird dafür ausgewählt, derjenige, der am pflichtbewusstesten ist, der am stärksten ist.

Würden Sie von sich sagen, dass Sie ein frommer Mensch sind?
Auf jeden Fall. Wenn ich nicht so fromm gewesen wäre, im besten Sinne fromm, dann hätte ich »Nein« gesagt, »um Himmels Willen, ich kann diese Aufgabe nicht erfüllen, meinen Freund, meinen Meister ans Messer zu liefern.« Ich hätte gekniffen und mich aus dem Staub gemacht, wie die anderen Apostel. Aber ich war fromm, das heißt, ich habe die Zähne zusammengebissen und bin durch die Hölle gegangen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Wenn Sie aus dem Münster abtreten: Was wollen Sie in den Köpfen Ihrer Zuschauer anregen?
Also meine ideale Vorstellung wäre: Ich sage am Ende laut meinen Namen, die Leute stehen auf, begeistert, applaudieren. Sie sagen: »Judas, Du hast es genau richtig gemacht. Judas, Du bist rehabilitiert. Die Münsterbauhütte wird Dir einen Sockel bauen und ein Denkmal errichten mit Heiligenschein. Du bekommst Deinen Platz in der Kirche und in der Gesellschaft.«

Haben wir alle ein bisschen etwas von Ihnen, von Judas, in uns?
Aber ganz bestimmt. Und vor dem haben ja auch alle Angst, und deswegen werde ich ausgegrenzt und gemieden, weil alle genau wissen: Das Judas-Prinzip ist auch in mir, steckt in mir drinnen, das trägt jeder in sich. Es ist immer ganz schön, dieses schlechte Gewissen auszulagern. 

 

AutorIn: Christian Stolz
Datum: 24.10.2018