»HALB UND HALB« - EIN GARTEN IN DER PODIUM.BAR

»ich habe mir einen zum bruder gemacht und der warst du«

In Daniel Keenes »Halb & Halb« begegnen sich zwei Geschwister. Sie, Anfang 20, wohnt im Haus der seit mehreren Jahren verstorbenen Mutter. Er, Ende 30, hatte dieses Haus verlassen, als seine Schwester noch ein Kind war. Nun steht er eines Abends vor der Tür. Obwohl sie einander kaum kennen, haben beide doch ziemlich konkrete Bilder vom anderen, subjektive Erinnerungen sind zu Wahrheiten geworden, die sich nun gegenüberstehen. Im Zwiespalt zwischen Selbstschutz durch Verdrängung und dem Wunsch nach Aufarbeitung wächst langsam eine Art Verständnis füreinander - eine zarte Pflanze, mit der behutsam umgegangen werden muss. 

»Halb & Halb« hat in der zauberhaften Inszenierung von Deborah Krönung schon bei der Premiere Publikum und Theaterschaffende berührt und begeistert. Vor der morgigen Wiederaufnahme geben uns Regisseurin Deborah Krönung und die DarstellerInnen Marie Luisa Kerkhoff und Lukas Schrenk einen kleinen Einblick in die Entstehung dieser wunderbaren Arbeit.

Wie kam es zu dieser Stückauswahl, was hat Dich daran besonders gereizt?
Deborah Krönung: In »Halb & Halb« geht es für mich vor allem um die Fähigkeit, Verständnis für eine andere, fremde Person zu entwickeln, trotz Unterschiedlichkeit. Die beiden Geschwister kennen sich ja kaum, da der ältere Bruder wegging, als seine Schwester noch sehr jung war. Im Verlauf des Stücks nähern die beiden sich an, lernen, den jeweils Anderen zu tolerieren, aber geben sich selbst nicht völlig auf in dieser neuen Geschwisterbeziehung. Das finde ich sehr menschlich und realistisch an dem Stück; es gibt kein unreflektiertes »Happy End«, sondern es bleibt offen. Auf jede Annäherung folgt ein Rückzug, die beiden müssen arbeiten für ihre Beziehung. 

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Du hast auch die Ausstattung für Deine Inszenierung selbst entwickelt. Was war Deine Idee dahinter?
Deborah Krönung: Das ganze Stück spielt in der Küche der verstorbenen Mutter. Der ältere Bruder bringt nach einem Besuch an ihrem Grab Erde und Unkraut von dort mit, und in der Küche wächst nach und nach ein Garten. Das finde ich ein schönes Bild nicht nur für das wachsende Verständnis der beiden Geschwister füreinander, sondern eben auch für die Tatsache, dass zwischenmenschliche Beziehungen gepflegt werden müssen und Arbeit bedeuten, so wie ein Garten ja auch kein »Happy End« hat; er muss gegossen werden, Unkraut gezupft, usw.

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Was hat Dir an der Probenarbeit besonders viel Freude bereitet?
Deborah Krönung: Die beiden Geschwister verdrängen und vermeiden Konflikte, wollen sich dem Anderen nicht öffnen, suchen aber unbewusst nach Auseinandersetzung. Unter den banalen bis absurden Dialogen schwelen dadurch sozusagen emotionale Brände, die aber nicht benannt werden; die Kommunikation verläuft passiv-aggressiv und ist geprägt von Missverständnissen - er fühlt sich angegriffen und schießt deswegen zurück, sie hatte es »gar nicht so gemeint« usw., das berühmte Modell der »Vier Seiten einer Nachricht« eben. Dieses psychologische Gerüst unter den Dialogen zu bauen hat viel Spaß gemacht. 

Du warst diese Spielzeit als Gast-Assistentin bei uns. Mit »Halb & Halb« hast Du uns in der Reihe »Chapeau!« Deine erste Ulmer Regiearbeit gezeigt, die auf ein großartige Resonanz stieß. Wann sehen wir mehr von Dir?
Deborah Krönung: Im Oktober inszeniere ich »Alte Meister« von Thomas Bernhard im Museum Ulm und in der Kunsthalle Weishaupt. Darauf freue ich mich sehr, da mir der Roman sehr am Herzen liegt. Das Publikum wird gemeinsam mit den Protagonisten, Atzbacher und Reger, einen Gang durch beide Museen machen.

Lukas und Marie, wie empfindet Ihr die Beziehung zwischen den beiden Geschwistern, die Ihr spielt? 
Lukas Schrenk: Ich habe das Gefühl, dass die beiden - obwohl sie sich viele Jahre nicht gesehen haben - direkt an alte Beziehungsmuster und Gewohnheiten anknüpfen, die noch aus sehr jungen Jahren stammen. Ihr Verhältnis zueinander und zur verstorbenen Mutter ist sehr vorbelastet und konnte nie aufgearbeitet werden. Deshalb verrennen sie sich bei ihren Annäherungsversuchen ständig in Missverständnissen, was von außen oft sehr tragikomisch wirkt. 
Marie Luisa Kerkhoff: Es ist ein Zuhören lernen, ein sich treffen lassen; unausweichlich, weil der Text geschrieben steht. Die Arbeit an »Halb & Halb« war für mich nach kurzer Zeit ein Bedürfnis geworden. Wir waren und sind jetzt wieder auf der Suche nach den Stellen bei den beiden Geschwistern, die aufgeladen sind mit vergangenen Bildern, Projektionen und Verständnissen.

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Habt Ihr selbst Geschwister und seht Parallelen bei gewissen Empfindlichkeiten oder Schwierigkeiten durch unterschiedliche Lebensentwürfe?
Marie Luisa Kerkhoff: Es hilft mir bestimmt der Umstand, dass ich Geschwister habe, aber in »Halb & Halb« habe ich mir eben selbst einen zum Bruder gemacht.
Lukas Schrenk: Ich habe einen Bruder, sehe aber nicht so viele Parallelen zum Stück. Eine Gemeinsamkeit ist auf jeden Fall, dass man wohl zu kaum einem Menschen von Anfang seines Lebens an in einer Beziehung steht, die sich natürlich verändert, aber ihre Grundzüge auch bis ins Erwachsenenalter beibehalten kann.

Wie habt Ihr die Entstehungsphase Eurer Inszenierung so ganz neben dem normalen Spielbetrieb empfunden? Wie unterschied sich die Arbeit zu Eurer sonstigen Arbeit hier am Haus?
Marie Luisa Kerkhoff: Der Unterschied zu sonstigen Produktion ist für mich ganz klar, dass man bei der Arbeit an einem »Chapeau!« keinen Produktionsdruck hat, da wir es uns selbst ausgesucht haben.
Lukas Schrenk: Ich hatte das Glück, dass wir die Zeit zwischen zwei Produktionen nutzen konnten und ich so nur eine Woche parallel für »Halb & Halb« und »Jihad Baby!« geprobt habe. So ein »Chapeau!« ist etwas anders als eine reguläre Produktion, da es für uns eine Möglichkeit darstellt, Stücke selbst auszusuchen und ohne den Druck einer großen Premiere Spiel- und Arbeitsweisen erforschen und ausprobieren zu können.

 »Halb & Halb« ist wieder zu sehen am 8. Juni 2019, 19.30 Uhr in der Podium.bar.

Das Gespräch führte Sarah Adamus.
Die Fotografien sind von Tobias Rägle.

 

 

AutorIn: Sarah Adamus
Datum: 7.06.2019