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ZUM NEUEN JAHR: »KUNST ÜBER ALLES« – 100 JAHRE ÄSTHETISCHE RADIKALITÄT IN MANIFESTEN

 

Als (vorerst) letzten Teil der kleinen Reihe mit künstlerischen Bekenntnis-Dokumenten und zugleich skurril anspruchsvollen Neujahrsgruß stellt »Manifeste IV« Pamphlete in Auszügen vor, die von 1909 bis 2019 entstanden sind. Es sind berühmt-berüchtigte Aussagen darunter wie Marinettis »Futuristisches Manifest«, abseitige Perlen wie das Manifest der Stuckisten von Billy Childish (beides aus klangpoetischen Gründen in der Originalsprache vorgetragen), Jonathan Meeses »Maschinekunstmanifest« oder Einar Schleefs Text zum Sprechtheater, bekannte »Dogmatiker« wie Lars von Trier und weniger bekannte wie Guy Debord. Allen gemeinsam ist der nur manchmal ironisch gemilderte, oft aber zur Hybris neigende Anspruch, mit der eigenen Kunst- und Weltanschauung in beiden, Kunst und Welt, Wahrhaftigkeit und ästhetische Güte durchzusetzen. Dafür werden apodiktisch Forderungen erhoben, spröde Verbote, Warnungen und subtile Hinweise ausgesprochen, das »Alte« verdammt, und das »Neue« beschworen, immer wieder neuerlich mit Emphase und Radikalität. Der stetig wiederkehrende (oft grotesk überbordende) Erneuerungswillen und revolutionäre Impetus erforderte regelmäßig auch »Gesetzestexte«, und es erstaunt, welche Fülle an literarischer Erfindungsgabe diese eigene Gattung des Kunst-Manifests aufweist. Es verblüfft zudem gerade auch in diesen Tagen, welche Wichtigkeit, welcher Wert der Kunst in diesen Dokumenten zugesprochen wird: Es geht, wenn ihre Kraft, ihre Bedeutung betont wird, immer um alles, sie ist das Maß der Dinge – »Kunst über alles«. Ein wenig vom Selbstbewusstsein mancher der hier zitierten Propagandisten (abzüglich gewisser zerstörerischer Anmaßungen und ideologischer Verirrungen) täte auch der von der Pandemie gebeutelten Kunst gut.

Die Schauspieler Rudi Grieser, Markus Hottgenroth, Maurizio Micksch, Gunther Nickles und Frank Röder interpretieren die Manifeste dieser Folge daher sowohl mit dem gebotenen Ernst und der angemessenen satirischen Akzentuierung. Gute Unterhaltung und auf ein kunstreiches Jahr 2022!

In leichter Sprache: Kunst wird immer wieder neu gemacht. Manchmal soll sie auch ungewöhnliche Regeln einhalten. Das erklären dann kluge Menschen und nennen es »Manifest«. Manche Erklärungen sind lustig, manche sind aber auch streng oder böse. Wir haben diese Erklärungen mit Augenzwinkern aufgenommen.

Viel Vergnügen.