HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUM HUNDERTSTEN!

Ich kam 1991 als GMD ans Ulmer Theater. Es war noch die Zeit, da war eine Frau am Dirigentenpult eine Seltenheit und in solcher Position schon gar keine Selbstverständlichkeit. Das Ulmer Orchester hat mich aber ohne Vorurteile aufgenommen und von Anfang an, von der ersten Begegnung, haben wir vertrauensvoll und freundschaftlich zusammen gearbeitet.

Ein breites Opern- und Konzertrepertoire zu realisieren, ist für ein Orchester mittlerer Größe keine leichte Aufgabe. Es bedeutet nicht nur viel mehr »Dienste« und weniger Freizeit für die Musikerinnen und Musiker, sondern auch die Bereitschaft, Ungewöhnliches zu leisten (z.B. bei Bühnen- und Fernmusik aus dem Orchestergraben schnell auf oder hinter die Bühne ›zu springen‹, dabei noch unterwegs rasch in ein Kostüm schlüpfend, um dann schleunigst wieder in den Orchestergraben zum nächsten Einsatz zurückzueilen). An genau dieses Engagement, das Gefühl der Zugehörigkeit und das freudige Anteilnehmen an dem, was Musiktheater ausmacht und fordert, denke ich heute noch mit großem Respekt und Bewunderung.

Eine meiner sch nsten Erinnerungen ist die Aufführung der Oper »Die Eroberung von Mexiko« von Wolfgang Rihm. Das Hauptorchester – wie eine Tsunamiwelle vom Graben bis tief auf die Bühne aufsteigend – wurde zum sichtbaren Teil des Bühnengeschehens, die einzelnen Musiker balancierten auf den hoch um den Zuschauerraum gebauten Gerüsten, die Schlagzeuger auf den Türmen – eine Herausforderung, mit Bravour bewältigt ...

Nach dieser Produktion (es war die erste nach der Uraufführung an der Hamburgischen Staatsoper) wurde Rihms Oper, vor allem wegen der in Ulm bewiesenen »Machbarkeit«, zu einem der meist gespielten Werke des 20. Jahrhunderts.

Ich wünsche dem Philharmonischen Orchester Ulm weiterhin großen Erfolg, Freude, Entdeckungslust und ein treues, neugieriges, begeistertes Publikum. Und nicht zuletzt – und allen beiden! – seitens der Politik eine dauerhafte Wertschätzung des Theaters als vielseitigem, notwendigem Bildungsort, der der Stadt Gewicht, Gesicht und Ansehen erhält.

 

Alicja Mounk
(GMD am Theater Ulm von 1991 bis 1994)

AutorIn: Sandra Schumacher
Datum: 14.07.2021