ZU BESUCH BEI DEN MEISTERINNEN DES SCHÖNEN SCHEINS — EIN TAG IM MALERSAAL

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Was abends im Theater passiert, ist klar: Der Vorhang geht auf, das Gemurmel im Zuschauerraum verebbt und die Vorstellung beginnt. Damit dies so Abend für Abend passieren kann, sind viele Menschen in den verschiedensten Abteilungen jeden Tag zugange. Wir nehmen Sie in dieser Beitragsreihe mit zu den Orten, die Sie normalerweise nicht zu Gesicht bekommen, und stellen Ihnen unsere Kolleginnen und Kollegen vor, die maßgeblich dazu beitragen, dass sich jeden Abend ein Spektakel auf unseren Bühnen vollziehen kann. Zum Auftakt haben wir die Meisterinnen des schönen Scheins im Malersaal besucht.

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Wenn ich gefragt würde, was mein geheimer Lieblingsort im Theater ist, die Antwort käme prompt: der Malersaal. Manch einer bevorzugt das Gedämpfte des Kostumfundus. Andere sind vom Duft der Maskenabteilung fasziniert. Für mich aber ist es das Farbenfrohe des Malersaals, das auch an diesem Montagvormittag jeglichen Novembernebel aus dem Gemüt zu vertreiben mag. Am Theater Ulm ist der Malersaal fest in Frauenhand und so begrüßen mich in der liebevoll-chaotischen Pausenecke die Kolleginnnen Agnete Winter, Manije Alami-Cywinski, Ina Hammes und Sina Raiber. Zum Team gehören außerdem: Liane Goller und die Auzubildenden Ronja Lehle und Jule Kardaß. 

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»Was kann ich machen?«, fragt Ina und prompt antwortet Agnete: »Das Großmutterhäuschen!« Sina springt ein und ruft: »Ich mache die Wurstfarbe!« (für »Aufstieg und Fall des Uli H.«) Agnete kümmert sich um den ›Marmor‹. Und schon nach fünf Minuten ist klar: Im Malersaal herrscht ein toller Teamgeist, alle packen an und strömen in die verschiedenen Ecken des beeindruckend großen Raumes, in dem wirklich jede Ecke schon einmal einen Spritzer Farbe abbekommen hat. 

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Während die Beatles im Radio »Help!« in den Äther rufen, steigt die Konzentration. Vor allem bei den beiden Schülerpraktikantinnen, denen Sina gerade zeigt, wie eine echte Theatermalerin malt: im Stehen und mit den langen Schaftpinseln, die zunächst wie unkontrollierbare, steife Tentakel wirken. Die Dimensionen sind hier alle etwas größer. Wer einen Prospekt malt, der wie zuletzt bei »My Fair Lady« auch schon einmal eine Größe von 13 Metern Breite und knapp 10 Metern Höhe einnehmen kann, benutzt keine Pinsel, wie wir sie aus dem Kunstunterricht kennen.
Was eine Theatermalerin macht? Ausgehend von den Entwürfen der Bühnenbildner werden hier Kulissen bemalt, Hintergründe für die Bühne geschaffen und im nicht unerheblichen Maße verschiedenste Materialien imitiert. Von Marmor über Metall bis Holz. Täuschung ist eine hohe Kunst. Die Kolleginnen haben sie perfektioniert.

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Agnete, die gerade eine Fläche bearbeitet, die einmal beim »Räuber Hotzenplotz« zum Einsatz kommen wird und aussehen soll wie dunkler Marmor, sagt: »Jeder Tag ist anders. Diese Abwechslung macht den Beruf auch nach 20 Jahren noch so spannend. Wir müssen alles zeichnen können, von den Alten Meistern bis zum Expressionismus. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Improvisationstalent. Die einzige Routine, die es hier gibt, ist das Putzen der Eimer.« Sie lacht auf ihre herzlich-einnehmende Art und bearbeitet den ›Marmor‹ weiter. Im Stehen natürlich. »Bühnenbildner dürfen entwerfen, wir dürfen malen. Wenn ich mich entscheiden müsste, ich würde mich immer fürs Malen entscheiden «, ergänzt sie nach kurzer Zeit. Mit konzentriertem Blick widmet sie sich der Marmorfläche. Wie sie den einen Pinsel schultert, mit dem anderen feine Linien zieht und dabei rhythmisch hin und her wippt, es erinnert an Tanz.

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Agnete, die eher zufällig an den Beruf gekommen ist, nimmt mich mit in den Montagesaal. Hier ist das Bühnenbild für den »Räuber Hotzenplotz« aufgebaut, ein Zauberwürfel, der verschiedenste Welten in sich birgt. »Hier kommt alles zusammen! Da hinten ist die Schreinerei, wo die Bühnenteile vorbereitet werden. Die Kollegen von der Polsterei kommen auch gleich dazu. Alle arbeiten am Großen Ganzen. Das liebe ich!« Unter dem großen blauen Tuch, das einmal das Schloss von Petrosilius Zwackelmann werden wird, murmelt es. Die Rädchen greifen in einander. Die Theatermaschinerie läuft wie geölt. In der Zwischenzeit hat Sina, die gerade noch den Praktikanntinnen erklärte, wie man mit Hilfe eines Rasters maßstabgetreu ein Bild vom Kleinen ins Große überträgt, die Wurstfarbe angemischt — dafür gab es natürlich eine Vorlage: echte Wiener Würstchen. »Ich glaube, ich könnte keinen Job machen, bei dem ich den ganzen Tag vor dem Rechner sitze. Ich male zu gerne und das Team hier ist wunderbar.«
›Liebe‹ steht an der Tür geschrieben, die zum Montagesaal führt, und diese Liebe zum Beruf ist hier allgegenwärtig.

AutorIn: Caro Meyer
Datum: 30.11.2018