WEIßE ROSE – GEDANKENFRAGMENTE ZUR AKTIVIERUNG DES WIDERSTANDES

Am 22. Februar jährte sich der Todestag der Geschwister Scholl zum 75. Mal; am 9. November findet die Premiere von Udo Zimmermanns Oper »Weiße Rose« im Podium statt. 

Angesichts der weitreichenden Kenntnis ihrer Geschichte und ausführlichen Präsenz in Spielfilmen und Reportagen könnte man heute versucht sein, zu sagen: »Was soll man den Menschen noch von der »Weißen Rose« erzählen? Jeder kennt doch die Geschichte.« Der Soziologe Rainer Volk formulierte dagegen in einer Sendung des SWR die Befürchtung, dass die Erinnerung an die Widerstandsbewegung der »Weißen Rose« verblasse, und begründete dies mit der mangelnden Publizität - 75 Jahre sind seit den Aktionen der Widerstandsgruppe vergangen, 2018 wäre Hans Scholl 100 Jahre alt geworden – doch gab es lediglich eine Neupublikation und kaum mediale Berichterstattung.

Wäre es nicht vielmehr geboten, angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage in diesem Land, auf die Gründe und Ursachen hinzuweisen, welche die Scholl-Geschwister zu ihrer mutigen Meinungsäußerung bewegten, auf den Hass und die Gewalt gegen Andersgläubige, den sie nicht mehr hinzunehmen bereit waren, während erschreckenderweise die überwältigende Mehrheit ihrer Landsleute – unsere Urgroßeltern und Großeltern - wegsahen oder in die Verbrechen involviert waren? Und nun sollen diese Verbrechen, aber auch der Widerstand nach Meinung gewisser Populisten nicht mehr der Rede wert sein, gerade jetzt, da fremdenfeindliche Parolen und Aktionen in Deutschland wieder Normalität werden?

In ihrem zweiten Flugblatt schreiben Hans Scholl und Alexander Schmorell: »Warum verhält sich das deutsche Volk angesichts all dieser scheußlichsten menschenunwürdigsten Verbrechen so apathisch? Kaum irgend jemand macht sich Gedanken darüber. Die Tatsache wird als solche hingenommen und ad acta gelegt.« Die Zeitzeugin Hildegard Hamm-Brücher berichtet in einem Interview: »Von den etwa 8.000 Münchner Studenten waren es vielleicht 20 bis 50 [, die aktiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime geleistet haben]«. Die Motivationen der Mitglieder der »Weißen Rose« waren natürlich vielfältig. Jedoch finden sich neben einer ausgeprägten philosophischen und religiösen Bildung und dem damit verbundenen Glauben an Freiheit und Menschenwürde bei allen Beteiligten auch persönliche Negativerfahrungen mit dem nationalsozialistischen System. Auch diese haben dazu beigetragen, dass es zum aktiven Widerstand in Form der Flugblätter kam. So fühlte Christoph Probst seine Familie direkt bedroht, da seine Stiefmutter Jüdin war. Hans Scholl, Willi Graf und Alexander Schmorell wiederum hatten durch ihre Einsätze an der Front das Grauen des Krieges unmittelbar vor Augen – Schmorell, der in Russland geboren worden war, musste nun auf der Seite Deutschlands gegen seine eigentliche geistige Heimat kämpfen.

Es stellt sich in Bezug auf die heutige Mentalität des Wegsehens die Frage: Wie viele Anlässe braucht es, müssen wir wirklich erst persönlich betroffen sein, um gegen menschenverachtende Ideologien, Meinungen und Handlungen Haltung zu zeigen? Mitgefühl, Nächsten- und Freiheitsliebe und Zivilcourage sind gefordert und zu fördern, sicher auch durch die Konfrontation mit der eigenen Familiengeschichte – mit dem, was die Großeltern und Urgroßeltern erlebt und verübt haben – die auf einer persönlichen Ebene verdeutlicht, wie wenig fern das Leid ist, welches durch inhumanes Gedankengut angerichtet wurde und wird. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hilft dabei, einen Bezug zur Gegenwart herzustellen und zu verstehen, dass es auch heute gilt, sich jeglicher Form autoritärer und diffamierender Propaganda und Handlungen entgegenzustellen. Genau deshalb ist eine Aufarbeitung der Geschichte (vor allem auch der eigenen) und die Beschäftigung mit der »Weißen Rose« hier an diesem Ort wichtig: Sich erinnern und erinnert werden – und zwar immer wieder! Das Theater hat hier einen entscheidenden Auftrag und eine besondere Chance: Es kann den Zuschauer emotional erreichen, es kann Impulsgeber für Verständnis und Mitgefühl sein, Gedankenaustausch anregen und vielleicht sogar dazu beitragen, dass mehr Menschen aufhören, wegzusehen, und stattdessen ihre Stimme erheben.

»Jetzt kommt es darauf an, sich gegenseitig wiederzufinden, aufzuklären von Mensch zu Mensch, immer daran zu denken und sich keine Ruhe zu geben, bis auch der Letzte von der äußersten Notwendigkeit seines Kampfes wider dieses System überzeugt ist.« 

 

AutorIn: Sarah Adamus
Datum: 31.10.2018