VON DER SUCHE NACH DEM GLÜCK: IM GESPRÄCH MIT DEM »VETTER AUS DINGSDA«-TEAM

»Vor fast 100 Jahren wurde Eduard Künnekes Operette »Der Vetter aus Dingsda« in Berlin uraufgeführt. Jetzt hat man das Erfolgsstück von 1921 am Theater Ulm aus der Ecke vermeintlicher Angestaubtheit geholt und in einer modern aufpolierten Inszenierung von Christian Poewe auf den Spielplan gesetzt. Und siehe da: Der langjährige Dauerbrenner mit seinen zahlreichen Ohrwürmern lässt sich auch heute noch in vollen Zügen genießen, wenn er musikalisch und szenisch so brillant dargeboten wird wie hier.« schrieb Werner M. Grimmel in der Schwäbischen Zeitung nach dem Premierenbesuch.
Benjamin Künzel traf das »Der Vetter aus Dingsda«-Team zum Gespräch: Levente Török (Musikalischer Leiter), Christian Poewe (Regisseur), Olga von Wahl (Bühnenbildnerin) und Carl-Christian Andresen (Kostümbildner)

Fördert das Thema Operette eigene Vorurteile zutage?
von Wahl: Nein. Ich weiß aber, dass mich Darbietungen, wenn sie zu seicht daher kommen — und das betrifft jede Form von Kunstäußerung —, schnell langweilen. Mich interessiert der Ausnahmezustand. Ich finde Operette dann großartig, wenn es gelingt, in aberwitzige Fröhlichkeit und Ausgelassenheit zu geraten. Das hat auch was mit Mut zum Emanzipatorischen und der Freude am Trash zu tun. Und gleichzeitig genießt man diese Subtilität, die Eleganz, den Swing und das Kultivierte dieser Musik, mit einem ordentlichen Schuss deftig-schräger Erotik. (lacht) Ich spüre da so eine unerwartete Vertrautheit mit meinem eigenen Lebensgefühl.

Der »Vetter aus Dingsda« hat Euch also gleich gepackt?
Poewe: Und wie. Die rasante Energie und der Witz der musikalischen Nummern, besonders der Ensemblestücke, haben in mir sofort überbordende und fast anarchische Bilder geweckt.

Török: Ich durfte das Stück in der letzten Spielzeit auch in Regensburg einstudieren. Künnekes Musiksprache ist unglaublich flexibel. Das fasziniert mich immer wieder. Mit den Ulmer Kolleginnen und Kollegen und der klaren Lesart von Christian Poewe entdecke ich jeden Tag etwas Neues im »Vetter«.

Andresen: Die Musik hat mich auch sofort mitgerissen. Ich bin obendrein begeistert von dem Witz der Texte. Das Zusammenspiel von Komposition und Libretto ist einfach perfekt.

Wo liegt eigentlich dieses »Dingsda«?
Poewe: Das »Dingsda« des Stückes ist zunächst mal ganz schnöde die Hauptstadt der Insel Java in Indonesien, heute Jakarta, zur Entstehungszeit des Stückes Batavia — als die Gegend holländische Kolonie war. Aus Sicht der Figuren ist das die exotische Ferne: faszinierend, aber so genau will man es nun auch wieder nicht wissen — also »Dingsda«. Das steht auch für unterdrückte Sehnsüchte, den Drang nach Befreiung …

Was heißt das für Eure Verortung?
Poewe: Der »Vetter« rüttelt nicht subversiv an bestehenden Verhältnissen, stellt auch nicht vermeintliche Eliten vergnüglich- gnadenlos bloß oder verspottet sie. Er zeigt uns keine mondänen Salons, keine Fürstenhöfe und keine exotischen Orte in südlichen Gewässern. Die bleiben sehr fern, in »Dingsda« eben. Vielmehr führt uns der »Vetter« in die Enge gutbürgerlicher Verhältnisse.

von Wahl: Die tänzerische Energie des Stücks verlangt nach Räumlichkeiten, die selbst etwas Tänzerisches, Fragiles haben. Das ›Zauberschloss‹ ist ausnahmslos ohne rechten Winkel gebaut, adieu vernünftige Architektur! Wir möchten zeigen, wie eng sich letzten Endes die gesamte Personage mit ihren kontroversen Lebensplänen auf der Pelle hockt. Es gibt kein Entrinnen vor dem anderen. Von daher hat das Bühnenbild etwas von einer charmanten Zwangsjacke.

Andresen: Wir wollen den Esprit der Zwanziger Jahre mit unserer Ausstattung zitieren, ohne dabei historisch genau zu sein. Wir haben uns von den künstlerischen Strömungen der Avantgarde, wie Expressionismus, Kubismus, Dadaismus sowie Neue Sachlichkeit inspirieren lassen. Entstanden ist dabei eine eigene Welt — eben unsere Interpretation dieser Zeit.

Poewe: Bei allem Spaß an Gags und Ironie ist es aber auch wichtig, einen emotionalen Kern des Stückes klar zu formulieren: Auf der Suche nach dem persönlichen Glück sollte man nicht Ideen, Konzepten oder vermeintlichen Pflichten anhängen, sondern der eigenen Intuition trauen.

Wo liegt die Komik in Künnekes Musik?
Török: Die musikalische Textur ist sehr bunt. Es treffen sich ganz unterschiedliche Stilrichtungen: »Wiener-Sträuße«, Kálmán- Klänge, Orientalismen, Berliner Töne, aber auch Stellen, die Zitate aus einer Wagner- Oper sein könnten. Der Humor steckt in den extremen Kontrasten, der Absurdität von Kombinationen.

Poewe: Das liegt, glaube ich, auch daran, dass der »Vetter» geradezu das ganze Genre Operette als solches aufs Korn nimmt! Immerhin stammt das Stück aus dem Berlin der frühen 1920er Jahre, einem Schmelztiegel verschiedenster Theaterformen. Die Berliner hatten damals sicher oft das Gefühl, schon alles gesehen zu haben — da ist das Vergnügen am ironischen Spiel mit den Konventionen leicht nachzuvollziehen. Im »Vetter« werden typisch übersteigerte Gefühlsschwärmereien, wie Julias Fixierung auf den Mond als Liebesbote, einerseits musikalisch sehr verführerisch zelebriert, dann aber sofort wieder bissig ironisiert.

Wie schwierig ist das Leichte?
Török: Die ›leichte Muse‹ ist vielleicht die schwierigste musikalische Aufgabe eines Dirigenten. Herbert von Karajan hat gesagt: »Wenn Sie das Dirigieren lernen wollen, dirigieren Sie Operette!«

 

 

AutorIn: Benjamin Künzel
Datum: 13.02.2019