SCHÜLER-REZENSIONEN ZU »TERROR«

Im Rahmen der AG »Veranstaltungskritiken« beschäftigten sich Schülerinnen und Schüler des Schubart-Gymnasiums mit Unterstützung der Theaterpädagogik und des Theaterkritikers Dr. Manfred Jahnke mit der Produktion »Terror« und verfassten dazu eigene Rezensionen. Gefördert wurde das Angebot aus dem Mitteln des Fördertopfs für kulturelle Bildung und Teilhabe 2018 der Stadt Ulm. Hier lesen Sie alle Eindrücke unserer jungen Rezensentinnen und Rezensenten.

Held oder Mörder?  

Ulm – Das Publikum des Theater Ulm sollte sich am 17.01.2019, der Premiere des Stückes »Terror« von Ferdinand von Schirach, der Frage stellen, ob Lars Koch (Jakob Egger) ein Held oder ein Mörder ist.

Lars Koch, Major und Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr, entschied sich dazu, ein Flugzeug mit 164 Insassen abzuschießen, welches Kurs auf die Münchner Allianz Arena genommen hatte. Die Maschine war von einem Terroristen entführt worden und drohte in die mit 70.000 Menschen gefüllte Arena hinabzustürzen. Das Ulmer Publikum sollte sich nun entscheiden, ob Lars Koch frei gesprochen oder verurteilt wird, denn an diesem Abend entscheiden die Zuschauer, wie das Theaterstück ausgeht.

Die Inszenierung von Sarah Kohrs zielt darauf ab, dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, als wären er oder sie Teil einer Gerichtsverhandlung. Von der ersten Sekunde an signalisiert bereits das Bühnenbild (Monika Gora), dass man sich in einem Gerichtssaal wiederfindet. Der Vorsitzende Richter (Fabian Gröver) eröffnet den Theaterabend, indem er klar macht, dass sich das Publikum nicht von Sympathie leiten lassen solle. Zudem verzichtet er auch nicht auf die Belehrung der jeweiligen Zeugen, außerdem trägt das Ensemble, typisch für eine Gerichtsverhandlung, schwarze Roben. Ein Kritikpunkt ist jedoch die Leinwand, die die Mimik und Gestik der Zeugen groß ins Publikum projizieren soll. Auf dieses Element der Inszenierung hätte verzichtet werden sollen, da man auch keine Leinwände im Gericht vorfindet.

In der Schauspielerleistung gibt es Licht und Schatten. Der Verteidiger Biegler (Gunther Nickles) liefert gute Argumente, um die Zuschauer davon zu überzeugen, für einen Freispruch zu stimmen, wohingegen sein Pendant die Staatsanwältin (Christel Mayr) ihr Schlussplädoyer zu lang zieht und Argumente vorbringt, die nicht sehr stichhaltig sind, wobei angemerkt werden muss, dass dies so zweifellos vom Autor beabsichtigt war. Meiner Meinung nach enthalten Stück und Aufführung auch einen Logikfehler: Die Staatsanwältin stellt dem Angeklagten die Frage, ob dieser hätte wissen können, ob die Passagiere der entführten Maschine es ins Cockpit der Maschine geschafft hätten. Seit dem Terroranschlag am 11. September 2001 ist es nicht mehr möglich, von außen ins Cockpit der Piloten zu gelangen, weswegen die Frage keinen Sinn macht. Als wäre das nicht schlimm genug, zieht sich diese Thematik/Frage durch das ganze Stück, zudem ist dieses scheinbare Argument eines der stärksten Argumente der Staatsanwältin, um für eine Verurteilung des Angeklagten Lars Koch zu stimmen.

Die Stimmung im Publikum war an diesem Abend zweigeteilt. Während ein Teil der Zuschauer sichtlich interessiert war, in einigen Momenten sogar laut lachte, etwa bei der Aufforderung aufzustehen, oder in die Aufführung hineinrief und zum Schluss dem ganzen Team großen Applaus spendete, gab es andere, die während der Vorführung desinteressiert zuschauten oder gar schliefen. Einige verließen die Aufführung in der Pause, womit nicht alle Zuschauer am Ende ihre Stimme abgaben. Das Urteil fiel relativ knapp aus - mit 282 Besuchern, die für einen Freispruch stimmten und 255 Besuchern, die den Piloten schuldig sprachen.

Autor Abdullah Bekov

 

282 gegen 255 
Ferdinand von Schirach: Terror 

Am Abend des 17. Januars 2019 erwartet das Ulmer Publikum eine enorme Abwechslung im Großen Haus, denn die Zuschauer verwandeln sich in Schöffen. Das Große Haus hingegen nicht in eine übliche Bühne, sondern in einen offenen Gerichtssaal. 

Im Fokus der Inszenierung unter Regie von Sarah Kohrs steht die Entscheidung um das Schicksal von Major Lars Koch (Jakob Egger). Der junge Kampfpilot wird aufgrund einer Anklage des 164-fachen Mordes von dem Vorsitzenden Richter (Fabian Gröver) verhört.
 Lars Koch soll ein Flugzeug der Lufthansa mit 164 Insassen abgeschossen haben. Das Zivilflugzeug war zu dieser Zeit von einem islamistischen Terroristen entführt worden, um die Maschine in die überfüllte Allianz Arena in München zu lenken. Der angeklagte Major der Luftwaffe entschied sich, gegen das Gesetz zu handeln, um somit 70.000 Menschenleben zu retten. 

Durch die Entscheidung, letztendlich den anderen 164 Personen die Menschenwürde zu nehmen, stellt sich die komplexe Frage nach der moralischen Richtigkeit seines Handelns. 

Folglich sollte das Publikum am Donnerstagabend entscheiden, ob der Täter verurteilt oder freigesprochen werden soll.
 Um jeden einzelnen Zuschauer in ein gewisses Dilemma bei der Entscheidung zu stürzen, werden während der Gerichtsverhandlung verschiedene Zeugen wie die verwitwete Franziska Meiser (Marie Luisa Kerkhoff) 
und der Oberstleutnant Christian Lauterbach (Stephan Clemens) befragt.
 Die Absicht der gesamten Inszenierung ist, dass sich das Publikum auf ein Gedankenexperiment einlässt. Hierbei steht ein rationales Denken ohne jeglichen Sympathieeinfluss im Fokus. Es entsteht ein Konflikt zwischen ›Richtig‹ und ›Falsch‹, bei dem jeder Zuschauer individuell für sich festsetzen kann, welche Meinung er/sie repräsentieren und gegen Ende der Inszenierung durchsetzen will, indem jeder Schöffe sein Votum abgibt. Tatsächlich gab es hinterher ein Endergebnis, genauer gesagt waren es 255 Besucher, die gegen, und 282, die zugunsten des Kampfpiloten abstimmten. Man kann eindeutig und zweifellos sagen, dass es der Regie (Sarah Kohrs), Dramaturgie (Christian Katzschmann) und der kompletten Besetzung gelungen ist, den Konflikt zwischen Recht und Moral übersichtlich darzustellen. Auch wenn die Inszenierung die klischeehafte, juristische Trockenheit vorführt, kann sich der Zuschauer unmöglich von dem dargestellten Prozess abwenden, da ihn die fesselnden Plädoyers aufmerksam halten.
 Dadurch, dass es kein großes Geschehen auf der Bühne gibt, hat das Gericht eine umso realere Wirkung. Zudem fühlt sich der Schöffe durch direkten Blickkontakt und unmittelbare Ansprache in den Prozess involviert. Eine weitere, wohl überlegte Umsetzung ist die Projektion, die es dem Publikum ermöglicht, Mimik und Gestik der Befragten zu sehen und zu verstehen.
 Ohne diesen Einfall wären diese beiden Aspekte nur schwer zu erkennen gewesen, da die Beteiligten des Prozesses nur vom Profil sichtbar sind. Des Weiteren ist die Gegenüberstellung von Schuld und Unschuld ein zentrales Motiv, was durch die Verteidigung verstärkt wird. Einerseits gibt es die ehrgeizige, starke Staatsanwältin Nelson (Christel Mayr), die sich für die junge, alleinerziehende Witwe einsetzt, deren Mann an dem Angriff verunglückte. Andererseits ist der Verteidiger Biegler (Gunther Nickles) fest davon überzeugt, dass die Rettung von Menschenleben über das Prinzip der Menschenwürde gestellt werden müsse. Die Staatsanwältin wiederum unterstützt einen »funktionierenden Rechtsstaat, bei dem das Gesetz vor der persönlichen Perspektive stehen« muss.

Spätestens gegen Ende der Inszenierung wird dem Zuschauer bewusst, dass für die Vertretung der Zeugin und Nebenklägerin Meiser (Marie Luisa Kerkhoff) eine starke Besetzung ausgewählt wurde, die durch einleuchtende und vernünftige Argumente das Publikum zu überzeugen versucht. Im Kontrast zur Seriösität der ernsten Staatsanwältin wird die Rolle des Verteidigers Biegler als mürrisch und ironisch verkörpert. Im Großen und Ganzen spielen die Plädoyers eine wichtige Rolle, da sich aus der Tatsache, dass man einzelne Leben nicht gegeneinander abwiegen dürfe, und aus dem Fakt, dass dies in seltenen Fällen gegebenenfalls doch passieren müsse, um ein kleineres Übel zu verursachen, der Kernpunkt der Entscheidung ergibt.

Letzten Endes kann man sagen, dass das Stück »Terror« von großer gesellschaftlicher Relevanz ist. Es spiegelt das aktuelle Problem wieder, dass unser Staat »den größten Gefahren« ausgesetzt ist und die »Zeiten des Terrors« doch näher rücken, als man zu glauben scheint. 

Autorin Aylis Celik

 

Terror im Theater Ulm!

Nein, dies ist nicht wieder eine erschütternde Nachricht über einen weiteren Terrorangriff, sondern das zurzeit laufende Stück im Theater Ulm. Es handelt sich um das im Oktober 2016 schon in der ARD gesendete und auch an vielen Theatern, nicht nur auf deutschen Bühnen gespielte Schauspiel. Am 17. Januar 2019 fand die Premiere des Stückes »Terror« von Ferdinand von Schirach in Ulm statt. 

Direkt die ersten Minuten sind schon anders, als man es von üblichen Theaterbesuchen vielleicht kennt. Zu der Handlung passend wird das Publikum aufgefordert sich zu erheben, als der Vorsitzende Richter, gespielt von Fabian Gröver, die Bühne betritt. Ein typisches Szenario in einem Gerichtssaal. Und genauso sieht auch das Bühnenbild (von Monika Gora) aus. Eben wie man es sich vor Gericht vorstellt. Aber nicht nur, dass vom Publikum erwartet wird sich zu erheben, ist ungewöhnlich, nein, es geht direkt damit weiter, dass während der gesamten Aufführung das Licht des Saals angelassen wird. Doch hier handelt es sich nicht um einen technischen Fehler oder einen vergessenen Lichtschalter, sondern um einen Teil der Inszenierung von Sarah Kohrs. Denn das alles sind Puzzlestücke, die letztendlich zur gesamten Aufführung gehören. Das Publikum ist nämlich an diesem Abend selbst Teil der Aufführung. Die Theaterbesucher wurden alle in die Rolle von Schöffinnen und Schöffen versetzt und konnten somit das Ende der Aufführung beeinflussen. 

Doch zuerst zum Anfang: Der abwechslungsreiche Einstieg weckte bereits das Interesse des Publikums. Diese Aufmerksamkeit wird danach direkt auf den verteidigenden Anwalt Biegler, gespielt von Gunther Nickles, gelenkt, der durch seine lockere, offene und direkte Art überzeugend und sympathisch erscheint. Er ist genau die Persönlichkeit, welche dem ganzen Handeln Spannung und Abwechslung bringt. Denn gerade, wenn die Frau Staatsanwältin Nelson, gespielt von Christel Mayr, anfängt, einen Zeugen zu befragen oder direkt den Angeklagten, wirken die Texte an manchen Stellen sehr zäh, um die Worte eines Zuschauers wiederzugeben, was auch aus meiner Sicht nicht ganz von der Hand zuweisen ist. 

Der Zeuge und der Angeklagte sind ein Schauspiel für sich. Die beiden Berufssoldaten gehören ebenfalls zu den eher spannenderen Charakteren auf der Bühne. Denn beide sind eben genauso, wie man sich einen Soldaten vorstellt. Sie reden in kurzen Sätzen mit vielen Fachbegriffen und über viele weitere Personen und Üblichkeiten im Militär. Da dies alles für sie so selbstverständlich ist, müssen die beiden erstmal darum gebeten werden, sich so auszudrücken, dass es der Vorsitzende Richter und das Publikum verstehen. Diese unbeholfene Art der beiden Soldaten ist abwechslungsreich und bringt Frische in den sonst sehr monotonen Prozessablauf. Eintönig wirkt das Geschehen auffallend dann, wenn die Zeugin Franziska Meiser, gespielt von Marie Luisa Kerkhoff, zu Wort kommt. Im Vergleich zu den beiden Angestellten des Militärs wirkt sie an manchen Stellen übertrieben. 

Vielleicht lag es daher an der weniger mitreißenden, auf schuldig plädierenden Prozessseite, dass der Angeklagte Major Koch an diesem Abend frei gesprochen wurde. Insgesamt stimmten 282 für einen Freispruch und 255 für die Verurteilung von Lars Koch. Ein relativ knappes Ergebnis kann man daher sagen. Doch wie soll man dies werten, wenn nach der Pause nicht alle zuvor besetzen Plätze wieder gefüllt wurden? Das Ulmer Publikum liegt jedoch mit seinem Abstimmungsergebnis vollkommen im Trend, auch wenn sich ein Teil anscheinend nicht entscheiden konnte, ob es nun nach der Pause durch den Eingang für Freispruch oder Anklage gehen sollte und daher ganz draußen blieb. Da kann man nur darauf gespannt warten, wie es bei den folgenden Aufführungen im Ulmer Theater ausgehen wird für Major Lars Koch.

Autorin Clara Oberdorfer 

 

Das zusammenfallende Gericht

Am 17.01.2019 fand am Theater Ulm die Premiere des Stückes »Terror« von Ferdinand von Schirach, in der Regie von Sarah Kohrs, statt.

In dem Theaterstück geht es um einen Bundeswehrpiloten, welcher des 164-fachen Mordes angeklagt wird. Der Angeklagte Lars Koch (gespielt von Jakob Egger) hat ein Flugzeug abgeschossen, welches von einem Terroristen entführt worden war. Der Terrorist war von einer Splittergruppe des IS und hatte die Intention, das gekaperte Flugzeug in das ausverkaufte Münchner Stadion zu stürzen. In dem Stadion befanden sich rund 70.000 Menschen, in dem Flugzeug nur 164. Das bringt die Frage auf, ob man Menschenleben abwägen dürfe und dementsprechend selbstständig handeln solle? Durfte der Pilot das Passagierflugzeug abschießen?

Wichtige Grundlage des Theaterstückes ist das Luftsicherungsgesetz, welches im Ernstfall den Abschuss von Passagierflugzeugen erlaubt, wenn es keine weiteren Optionen gibt. Das Gesetz wurde jedoch wieder vom Bundesverfassungsgericht revidiert, da es gegen die Menschenwürde verstößt.

Der Vorsitzende Richter (gespielt von Fabian Gröver) eröffnet die Sitzung und weist das Publikum daraufhin, sich nicht von Sympathie leiten zu lassen. Das Stück macht den Zuschauer zum Geschworenen. Anschließend wird er von einem Justizwachtmeister (gespielt von Jochen Schreiber) unterbrochen. Die Bühne steht kurz leer, bevor die Zeugin Franziska Maiser (Marie Luisa Kerkhoff) auf die Bühne kommt. Kurz darauf betritt der Rest der Schauspieler die Bühne. Erst die Staatsanwältin Nelson (gespielt von Christel Mayr), dann die Protokollführerin (Agathe Taschke), anschließend der Angeklagte Lars Koch (gespielt von Jakob Egger), welcher von dem Wachtmeister mit Handschellen an seinen Platz gebracht wird. Zu guter Letzt der Verteidiger Biegler (Gunther Nickles), welcher etwas zu spät kommt.

Nachdem alles geklärt worden ist, wurde der erste Zeuge Christian Lauterbach (gespielt von Stephan Clemens) in den Zeugenstand gerufen. Er schildert detailliert das Geschehen und erklärt uns einige Begriffe der Militärsprache. Am Ende seiner Aussage hinterfragt die Staatsanwältin die von niemandem beauftragte Räumung des Stadions.

Viele Argumente werden ausgetauscht und letztendlich darf das Publikum entscheiden. Lars Koch wird freigesprochen mit 282 Stimmen. 255 plädierten für ›Schuldig‹. Allerdings stellte sich beim Blick in den Zuschauerraum heraus, dass viele der Premierenzuschauer das Theater bereits vor der Abstimmung verlassen hatten.

Ein besonderes Lob an die Schauspieler: Meiner Meinung nach haben sie die Emotionen dem Publikum gut vermittelt. Als der Zeuge Lauterbach von der Staatsanwältin in ein Dilemma gebracht wird, spielt er seine Rolle glaubwürdig. Ein anderes Beispiel ist die Zeugin Frau Meiser, welche das Geschehen aus ihrer Sicht beschreibt. Sie wirkt aufgebracht und traurig.

Die Abstimmung des Publikums unterstreicht die Interaktion zwischen den beiden Seiten, den Schauspielern und den Zuschauern. So ist es während der Aufführung auf den Sitzplätzen nicht dunkel. Mit dem Vorsitzenden Richter kommunizieren die Zuschauer bereits zu Beginn der Aufführung; die ganze Zeit bleiben sie ein wichtiger Bestandteil der Aufführung.

Was jedoch schlecht aufgefasst werden kann, ist der beabsichtigte Aufbau des Bühnenbildes. Da die Hinterwand und die Böden ziemlich schief gebaut waren, könnte man denken, dass das Gericht jeden Augenblick in sich zusammenfallen könnte.

Mein Hauptkritikpunkt an dem Stück bezieht sich jedoch auf den Terroristen. Als er das Passagierflugzeug entführt hatte, ließ er den Piloten eine Nachricht vorlesen, welche dieser per Funk weiterleiten sollte. In der Nachricht wird gesagt, dass sich die Muslime über seine Tat freuen werden und dass er im Namen Gottes handle. Später wird aufgedeckt, dass es sich um einen Anhänger einer Splittergruppe des IS handelt. Ich hätte mir gewünscht, dass noch erklärt wird, dass der IS nichts mit dem Islam als Glauben zu tun habe.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Stück sehr gut bei dem Publikum angekommen ist. Dies lässt sich nicht zuletzt an der Reaktion der Zuschauer erkennen. Ihr Beifall holte die Schauspieler immer wieder auf die Bühne zurück, wo sie sich insgesamt fünfmal verbeugten.

Autorin Hanife Emini

 

Wer entscheidet über Leben und Tod?

Ist das Leben vieler Menschen wertvoller als das weniger Menschen? Diese Frage mussten sich die Zuschauer im Theater Ulm in ihrer Rolle als Schöffen stellen. In dem Stück »Terror« von Ferdinand von Schirach geht es um einen Gerichtsprozess, in welchem Lars Koch (Jakob Egger) als Bundeswehrpilot angeklagt ist, durch den Abschuss eines entführten Flugzeugs 164 Passagiere umgebracht zu haben, um damit 70.000 Stadionbesuchern das Leben zu retten. 2005 wurde ein Luftsicherheitsgesetz verabschiedet, welches erlaubte, ein entführtes Flugzeug im Notfall abzuschießen. Jedoch wurde diese Möglichkeit ein Jahr später vom Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben. Ist dies jedoch die richtige Entscheidung gewesen? 

Während der Aufführung schauen die Zuschauer auf ein Bühnenbild (Monika Gora), welches von der Aufstellung der Tische und Stühle einem Gerichtssaal gleicht, jedoch durch schräge Anhebungen der Bühne außergewöhnlich wirkt. Hinzu kommt, dass während der Zeugenaussagen deren Gesichter mit einer Livekamera auf eine Leinwand projiziert werden. Das Unglücksgeschehen wird hauptsächlich vom Zeugen Lauterbach (Stephan Clemens) dargestellt, welcher ebenfalls ein Soldat der Luftwaffe ist. Durch seine »alles als selbstverständlich sehende« Einstellung wird das Publikum immer wieder zum Schmunzeln angeregt. Im Gegensatz dazu wirkt das Weinen von Frau Meiser (Marie Luisa Kerkhoff), die ihren Mann durch den Abschuss des Flugzeugs verloren hat, weniger glaubwürdig. Durch den von dem Stück vorgegebenen zu langen Redeanteil der Staatsanwältin und das Fehlen von Musik, tritt in manchen Passagen Monotonie auf. Demgegenüber werden die Zuschauer durch gezielte Bewegungen, Augenkontakt und direkte Ansprache der Schauspieler zum Publikum bei Laune gehalten, wodurch diese außerdem stets Teil des Geschehens bleiben. Verstärkt wird dies durch das stetig im Zuschauerraum brennende Licht. Die Entscheidung des Publikums für Freispruch fiel sehr knapp aus: 255 waren für schuldig und 282 für nicht schuldig. Das Ergebnis macht deutlich, dass die Entscheidung über das Schicksal eines Menschen keinesfalls leicht fällt. Wie man aus vielen Gesprächen heraushören kann, beschäftigt diese Frage auch noch nach Ende des Stücks die Zuschauer. Die entscheidenden Argumente liefern Staatsanwältin (Christel Mayr) und Verteidiger (Gunther Nickles), wobei die Spannungen zwischen den beiden immer wieder deutlich werden. Die Staatsanwältin, welche die Nebenklägerin Frau Meiser unterstützt, führt als Hauptargument das Tötungsverbot und den Satz »die Würde des Menschen ist unantastbar« an. Auf der anderen Seite steht der Verteidiger, welcher in Lars Koch einen Helden sieht, da dieser das Leben von 70.000 Menschen gerettet hat.

Aufgelockert werden die auf der Bühne entstehenden Spannungen immer wieder durch den Vorsitzenden Richter (Fabian Gröver). Gleich zu Beginn des Stücks brechen zum Beispiel die Zuschauer in Gelächter aus, nachdem der Richter die Worte »Wir erheben uns« ausspricht und alle Anwesenden auffordert aufzustehen. Trotz wenig Spielraum im künstlerischen Bereich ist die Inszenierung von Sarah Kohrs gut gelungen. Dies wurde auch von den Zuschauern in Form von kräftigem Applaus bestätigt.

Autorin Lara Minholz

 

»Terror« im Theater Ulm!

Das Theater Ulm folgt mit der Inszenierung des Stückes »Terror« von Ferdinand von Schirach im Großen Haus einem Hype, der zwar schon einige Jahre zurückliegt, versucht aber durch Realismus und Einbezug des Publikums eine Nähe zum Zuschauer aufzubauen, entsprechend dem Motto der Spielzeit 2018/19: »neigschmeckt«. Gleich zu Beginn des Stückes unter Regie von Sarah Kohrs schwört der Vorsitzende Richter (Fabian Gröver) das Publikum, welches als Schöffen agiert, auf seine Aufgabe ein. Das ›Gerichtsverfahren‹, das am Donnerstagabend mit einem Zuschauerentscheid ob schuldig oder nicht schuldig enden sollte, behandelt den Fall des Luftwaffenmajor Lars Koch (Jakob Egger), der des 164-fachen Mordes angeklagt wird und sich nun mit seinem Verteidiger Biegler (Gunther Nickels) vor Gericht verantworten muss. Lars Koch soll ein Lufthansa Flugzeug, welches mit islamistischem Hintergrund auf dem Weg von Berlin nach München entführt wurde, entgegen des nicht gegebenen Schießbefehls des Verteidigungsministers abgeschossen haben. Das Ziel des Anschlags, den Major Koch versuchte zu verhindern, war die mit 70.000 Menschen gefüllte Allianz Arena.

Und genau dort kam die Aufgabe des Publikums zum Vorschein. In diesem Prozess, in welchem trotz moralischer Bedenken eine schwerwiegende Entscheidung getroffen werden muss, wird der Betrachter zur Meinungsbildung angeregt. Kohrs versucht dem Stück durch Emotionen und Charaktereigenschaften der Figuren Reize für den Zuschauer zu setzen, obwohl rational entschieden werden soll. So beeinflussen nicht nur Verteidiger Biegler und Staatsanwältin Nelson (Christel Mayr), sondern auch die zwei Zeugen Oberstleutnant Christian Lauterbach (Stephan Clemens) und Witwe Franziska Meiser (Marie Luisa Kerkhoff) das Publikum. Biegler und Nelson bewegen sich in ihren Plädoyers gezielt über die schiefen Ebenen der Bühne, die in einem dunklen Braunton dem Zuschauerraum angepasst wurde. Damit wird der Betrachter in den ›Gerichtssaal‹ integriert, was extrem gut gelingt (Ausstattung Monika Gora). Zu Beginn wird Zeuge Lauterbach verhört, welcher sich keiner Schuld bewusst ist, jedoch bei seinem Verhör mehr in die Bredouille zu geraten scheint als der geständige Angeklagte Koch. Beide werden durch Staatsanwältin Nelson in moralische Zwickmühlen getrieben, wobei sie oftmals in militärisches Kalkül ausweichen und gerade deshalb wie taffe und abgebrühte Berufssoldaten wirken, was ihnen beiden gut zu Gesicht steht. Durch eine Leinwandprojektion wurden Zeugenaussagen fast schon wie ein Vieraugengespräch von Zeuge und Zuschauer geführt. Dadurch wurden die Emotionen der aufgebrachten Zeugin Meiser hervorragend eingefangen. Meiser reißt dadurch im Prozess für den Betrachter nochmal einen weiteren Zugang auf: den der direkten emotionalen Betroffenheit. Ihre Trauer gilt ihrem verstorbenen Mann, der in dem Unglücksflugzeug gesessen hatte, wenn auch ihre bzw. später auch Nelsons Argumente und Vorwürfe nicht ganz griffig sind. Da der Vorwurf hauptsächlich auf das Argument »die Passagiere hätten das Cockpit stürmen können« gestützt ist, was seit 9/11 nicht mehr möglich ist, nimmt es der Schwere des Vorwurfs allerdings ein wenig den Wind aus den Segeln – wenn man so will, ein Konstruktionsfehler des Stücks.

Alles in allem sind die Schauspieler in ihrer Rolle stimmig gewählt, sie spielten authentisch, ohne sich übertrieben in den Vordergrund zu drängen. Vor allem Richter und Verteidiger sorgten für vereinzelte Lacher im Publikum und lockerten die angespannte Stimmung des inneren Konflikts der Schöffen auf. Es wurde auch mit dem Publikum interagiert, so etwa zu Beginn durch die an die Zuschauer gerichtete Aufforderung, sich zu erheben sowie durch die Abstimmung am Schluss. Das Votum ging denkbar knapp aus mit 282 Stimmen für Freispruch und 255 für schuldig. Das wiederum spiegelt die Umstrittenheit des Themas »Terror« in der heutigen Gesellschaft und zeigt, dass diese Frage immer noch gesellschaftlich relevant ist, vielleicht relevanter denn je. Wer sich also knapp zweieinhalb Stunden mit guten Schauspielern intensiv darüber Gedanken machen will, der besuche das Stück »Terror« im Theater Ulm!

Autor Michael Schwarz 

 

Schuldig oder nicht? 
Zuschauer im Theater Ulm müssen sich entscheiden

»Sind wir jetzt etwa in der Kirche?«,  fragt ein Zuschauer verwirrt, als das Publikum zu Beginn des Stückes »Terror« von Ferdinand von Schirach gebeten wird, sich zu erheben. Nein, sie befinden sich in einer Gerichtsverhandlung. Angeklagt des 164-fachen Mordes ist Major Lars Koch (Jakob Egger). Gegen den Befehl seiner Vorgesetzten, schoss er ein Passagierflugzeug ab, das von einem Islamisten entführt wurde. Dessen Plan war es, das Flugzeug in die an diesem Abend voll besetzte Allianzarena zu fliegen. Die Zuschauer werden als Schöffen mit in das Geschehen gezogen, und stimmen am Ende über die Zukunft des Angeklagten ab. Die sich in diesem Prozess gegenüber stehenden Seiten werden von Christel Mayr als Staatsanwältin Nelson und Gunther Nickles als Verteidiger Biegler repräsentiert. Das Bühnenbild führt die holzvertäfelte Wandoptik des Zuschauerraums weiter und erzeugt so den Eindruck, als wäre der Zuschauerraum Teil der Bühne, die einen Gerichtsaal darstellt. Die Stimmung um die eigentlich sehr ernste zentrale Frage wird immer wieder durch Stellen aufgelockert, etwa als die Militärwelt des Zeugen Oberstleutnant Lauterbach (Stephan Clemens) auf die des Richters prallt, oder durch die Kabbeleien zwischen der Staatsanwältin und dem etwas unkonventionellen Verteidiger. Auf Dauer wirken diese ständigen Streitereien allerdings übertrieben. Fabian Gröver wird der autoritären Rolle als Richter gerecht, jedoch wirken manche Stellen auch bei ihm unnatürlich. Stephan Clemens und Jakob Egger scheinen die militärische Haltung in Mark und Bein aufgenommen zu haben. Letzterer wirkt sogar bei der Verbeugung am Ende so steif wie ein Soldat beim Marschieren. Marie Luisa Kerkhoff zeigte als Nebenklägerin und Zeugin Fr. Meiser emotional den Standpunkt der Frau, deren Mann in dem Passagierflugzeug umkam. 

Vor allem die Zeugen und die Plädoyers der Anwälte am Ende machen es dem Zuschauer schwer sich zu entscheiden. Man wird immer wieder von der einen Seite auf die andere gezogen. Doch als man sich am Ende entscheiden muss, lässt sich die Problematik des Stücks erkennen. Man kann sich nur für schuldig des 164fachen Mordes (d.h. lebenslang) oder nicht schuldig (keinerlei Konsequenzen) entscheiden. Da man nur die Möglichkeit hat, sich radikal auf eine Seite zu stellen, habe ich das Theater nicht zufrieden mit meiner Entscheidung verlassen. Ein weiteres Problem ist, dass in Deutschland auf diese Weise nicht Recht gesprochen wird und die Situation somit unrealistisch ist. Doch sein Ziel hat das Stück dennoch erreicht: Man wird zum Nachdenken angeregt, denn existenzielle Entscheidungsfragen sind oft nun mal einfach nicht mit ja oder nein zu beantworten. Das Ergebnis der Abstimmung am Premierenabend fiel demnach relativ knapp aus (255 für schuldig und 282 für unschuldig) und Pilot Koch wurde freigesprochen.

Autorin Teresa Bär

 

AutorIn: Sarah Adamus
Datum: 14.03.2019