MAG DIE GANZE WELT VERSINKEN, HAB’ ICH DICH!

Emmerich Kálmáns »Csárdásfürstin« ist ein funkelndes Operetten-Glanzlicht, ein Highlight des Genres. Show, Tanz, gefühlvolle Duette, hinreißende Ensembles: Die »Csárdásfürstin« steht für beste Unterhaltung. 1915 wurde die Operette in Wien uraufgeführt, kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sehnsuchtserfüllt taumeln die Figuren des seit über 100 Jahren erfolgreichen und beliebten Musiktheater-Evergreens durch ihre Welt, tief bewegt von unerfüllter Liebe, melancholischen Heimatbildern,
schwankenden Sicherheiten, bittersüßem Gefühlschaos. Champagnerlaune und Wellen von Schwermut und Liebesschmerz wechseln sich ab. Die mal schmissig ausgelassene, mal ebenfalls von mitreißender Sehnsucht erfüllte Musik von Kálmán sowie das tragisch-heitere Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach loten in diesem Hauptwerk der Silbernen Operettenära spannend aus, wie die Liebespaare Sylva und Edwin Ronald, Stasi und Boni einander begehren, sich immer wieder voneinander entfernen, einsam herumirren und am Ende zusammenfinden.
Benjamin Künzel, der auch als Musiktheater- und Konzertdramaturg am Theater Ulm tätig ist und bereits zahlreiche Produktionen in Szene gesetzt hat, inszeniert »Die Csárdásfürstin« auf der großen Bühne. Die Premiere ist am 6. Februar 2020. Eine alte Welt trifft auf eine neue Welt; Menschen, die den Aufbruch wagen wollen, Überkommenes zu überwinden, treffen auf Menschen aus anderen Zeiten. Die Operette zeigt für Benjamin Künzel auf faszinierende Weise die Realität der Entstehungszeit am Beginn des Ersten Weltkriegs: »Dinge treffen aufeinander, die nicht zueinander passen wollen.«
GMD Timo Handschuh ist der musikalische Leiter, Heiko Mönnich übernimmt die Ausstattung, die Choreografien entwickelt Gaëtan Chailly.
Eine erste Kostprobe auf die launige, turbulente Handlung gibt der folgende fiktive Zeitungsartikel — so oder so ähnlich könnte eine Boulevard-Berichterstattung
über die zu Herzen gehenden Liebeswirren rund um die Fürstenfamilie Lippert-Weylersheim klingen.

WIEN. Tiefe Empörung über das eben Geschehene steht allen Gästen ins Gesicht geschrieben! Beim eigentlich feierlichen Höhepunkt des gestrigen Balls von Fürst von und zu Lippert-Weylersheim kommt es zu HERZZERREIßENDEN, bestürzenden Szenen — ausgelöst durch die Chansonette Sylva Varescu! Besinnlich hatte der Ball-Abend begonnen, wohltemperiert fröhlich, federleicht. Doch welch dunkle Gewitterwolken zogen bald über dem Fürstenhof auf — selbst das jauchzend aufspielende Kammerorchester brachte dieses verbale Donnerwetter jäh zum VERSTUMMEN!

»SYLVA, BLEIB!«, ruft Edwin Ronald Lippert-Weylersheim der Chansonette Sylva Varescu kurz vor Mitternacht durch den Saal hinterher. Doch die stolze Sängerin, die sich soeben selbst demaskiert hat (»Ich bin keine Gräfin und war es nie!«), schmettert ihm sogleich entgegen: »Nein, ich gehe, wir beide wären ja doch nicht glücklich geworden!« Welche dunklen Geheimnisse, welches verbotene Spiel mit Feuer und Liebe zwischen den beiden muss diesem öffentlichen Eklat vorausgegangen sein! Haben sich die beiden bereits in Budapest kennengelernt, dort, wo Sylva Varescu als umjubelte VARIETÉ-KÜNSTLERIN auftritt? Was versprach er ihr? Wieso zeigt sich Edwins Affäre GANZ UNVERSTECKT? ODER IST ES BEREITS MEHR ALS EINE AFFÄRE?

Schon länger munkelte man, der frivole Fürstensohn hätte eine Geliebte, OBWOHL er mit Komtesse Stasi, Nichte des Fürsten von und zu Lippert-Weylersheim, verlobt ist. Die Eltern hatten die Ehe mit seiner Cousine in großer elterlicher Fürsorglichkeit arrangiert. Was für eine passende, STANDESGEMÄßE Verbindung wäre das!
Und was nun! Welch schicksalhafte Wendung für Komtesse Stasi! Welch SCHMACH! Sie, die so lange auf ihren geliebten Edwin wartete, demütig: AN EINEM ABEND VERSTOßEN!

Als angebliche Gräfin Kancsianu erscheint Sylva Varescu gemeinsam mit ihrem vermeintlichen »Gatten« Graf Boni Kancsianu auf dem Ball — vom ersten Moment an eine famose Lüge, eine Theaterrolle, wie unser scharfäugiger Reporter rasch herausfindet. Tat sie es aus SEHNSUCHT nach Edwin? Oder aus RACHEGEFÜHLEN? Fix erkennt Fürstensohn Edwin seine Geliebte und ruft sehnsuchtsvoll aus: »SYLVA!« Eine Zeitlang kann die trickreiche Chansonette ihre Maskerade noch aufrechterhalten. Doch bald beginnt er: DER TIEFE FALL DER SYLVA VARESCU!

Sylva, im Kreis der erlauchten Gesellschaft auf die populäre »Csárdásfürstin« angesprochen – diesen Ruf hat sie sich selbst auf ihrer Amerikatournee in den vergangenen Wochen verschafft – tut so, als kenne sie den Varieté-Star nicht, spottet sogar über die »Csárdásfürstin«. Zunehmend verliert Edwin die Façon, stellt den Grafen Boni zur Rede. TUMULT, RIVALITÄT, HAHNENKAMPF!

Unser pfiffiger Reporter beobachtet erstaunt und schockiert, wie Sylva mit Edwin vertraulich von ihrer »Juxheirat« spricht, die kürzlich stattgefunden habe. SIND DIE BEIDEN ALSO BEREITS EINE UNSTANDESGEMÄßE VERBINDUNG EINGEGANGEN?

Und dann meint unser schlauer Reporter sogar ein Anbandeln zwischen Comtesse Stasi und Graf Boni gesehen zu haben! Was haben DIE beiden denn MITEINANDER ZU TUN? Welch eine Veranstaltung voller MENSCHLICHER MONSTROSITÄTEN UND GROßER LEIDENSCHAFTEN!

Und: Wollte Fürst von und zu Lippert-Weylersheim Sylva Varescu, aus Sorge um das Familienansehen, tatsächlich mit einer LÄCHERLICHEN ABFINDUNGSSUMME ruhigstellen, wie Hofbeobachter schon seit einigen Tagen munkeln?

Fest steht bisher nur, dass wir endlich wissen wollen: Kann dieses ganze Schlamassel noch ein gutes Ende finden? Nicht zuletzt, weil Gerüchte toben, der Fürst hätte seinen Sohn Edwin bereits ins KORPSKOMMANDO einberufen! Selbst wenn die Liebenden noch zusammenfinden: Übersteht ihre Bindung das sich abzeichnende Waffenklirren in der Welt? Denn leider sind die Vorbereitungen für einen großen, fürchterlichen Krieg in vollem Gange. Der Eroberungswille einiger Länder ist ungebrochen aggressiv. Bürger hier und auf der Welt: in Angst! Bündnisse sind gemacht. Die Aufrüstung nimmt Fahrt auf, statt an Frieden zu denken. Wird die Liebe unserer heimlichen Fürstenball-Paare all dieser Feindlichkeit auf der Welt trotzen? Wird die Liebe einen Krieg überdauern?

 

Christian Stolz

AutorIn: Christian Stolz
Datum: 1.02.2020