JONAS GEBET

Der jugendliche Protagonist aus »Jihad Baby!« macht einiges durch: Seit er sich mit dem Koran beschäftigt und sich vollkommen auf eine islamische Lebensweise einlässt, ist nichts mehr, wie es mal war. Jona muss von Drogen und Alkohol Abstand nehmen, komplizierte arabische Wörter lernen und zu den unchristlichsten Zeiten beten. Dem Sechzehnjährigen, der gegen Eltern und Lehrer rebelliert und Halt in der Muslimischen Gemeinschaft sucht, steht nun sein Freund Musa zur Seite. Doch als Jona in einem Club Jenny kennenlernt, kommt er mit dem beim Islam-Prediger Claude Pirol abgelegten Glaubensbekenntnis in Konflikt. Und er hat noch nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken, weil er von Musa in eine radikalislamische Gruppe eingeführt wird, um an deren kriminellen Aktionen mitzuwirken. Ob Jona diese extremen Erlebnisse reflektieren und die richtigen Schlüsse für sich daraus ziehen wird? Er (bzw. der Schauspieler Lukas Schrenk, der ihn in Charlotte Van Kerckhovens Ulmer Inszenierung von Daniel Rattheis Monolog verkörpern wird) gibt einen Einblick in sein Inneres.

Fuck. Nee, nochmal.
Guter und einziger Gott,
die letzte Zeit war schon derbe strange. Also, ich mein: seltsam, irgendwie. Keine Ahnung, ich hab ja auch ständig mit Dir geredet, also, gebetet. Aber eben vielleicht nicht so richtig. Oder hörst Du das automatisch, wenn man beim Gebet eigentlich an was Anderes denkt? Jetzt jedenfalls rede ich nur zu Dir, Gott. Oder Allah oder wie auch immer. Und wenn ich Dich so direkt anspreche, musst Du’s ja mitkriegen!
Also, irgendwie fing alles an, drunter und drüber zu gehen, als ich in diesem Club war. Das lag erstmal an den Drogen, die ich eingeschmissen hatte, schon klar, aber dann lag es nur noch an ihr: Jenny. Meine Fresse. Diese Augen!
Klar wusste ich nicht sofort, dass sie Jenny heißt, logisch. Erst viel später, als dann…
Nee, stopp. Der Reihe nach. Das mit Jenny hat mich erwischt, als ich schon voll drin war, in dem Islam-Ding. Ich hatte angefangen, den Koran zu lesen, mich wirklich drauf einzulassen! Ich hab aufgehört, zu kiffen und zu saufen, wollte nur Dir und dieser Religion dienen und mein Leben unterordnen. Sogar mit Sport hab ich deswegen angefangen.
Ich!
Ist eben aber auch echt heftig, wenn man sich das mal vorstellt: Diese Masse an Leuten, diese Gemeinschaft, die jeden Tag miteinander betet, mehrmals! Und alle auf einen Punkt zu! Ja, ich weiß, Kirchen sind auch alle irgendwie nach Osten ausgerichtet, die meisten jedenfalls. Aber zu wissen, dass in dem Moment, in dem ich meinen Körper in eine bestimmte Himmelsrichtung drehe und bete, fast zwei Milliarden andere Leute auf der Welt genau dasselbe machen, ist schon krass. Klar, das sehen nicht alle Leute so. Die denken bei ›Islam‹ sofort an Terrorismus, 11. September, Dschihad. Und vergessen darüber, woher diese Bilder kommen, also, wer die ihnen eingepflanzt hat. Sagt Musa auch, alle so voll mit Scheuklappen unterwegs, verurteilen uns nur wegen unserer Bärte und weil wir den Koran in der Fußgängerzone verteilen. Dabei ist der Islam doch DIE Religion der Liebe! Das erzählt Claude Pirol in seinen Videos ja immer. Klasse Typ, hat mit mir am Telefon dann auch das Glaubensbekenntnis gemacht. War das geil, endlich zu hundert Prozent Muslim!
Blödes Timing, ausgerechnet da auch mit Jenny zusammenzukommen. Ich war mir auch voll unsicher, ob ich das überhaupt darf! Aber wenn Islam Liebe heißt, warum soll man dann nicht lieben dürfen? So viele Fragen, und keine Zeit, richtig drüber nachzudenken, weil dann ja die Sache mit Kreshnik kam. Wie krass, in seinem Auftrag in einen Waffenladen zu rennen! Okay, waren ja dann nur Nachtsichtgeräte, die ich kaufen sollte, nix Schlimmes. Aber ich war dabei, so richtig. Praktisch vollständig integriert.
Fühlt sich schon super an: ein Teil der Gemeinschaft am Rand der Gesellschaft. Aber in dieser Gesellschaft möchte man ja auch nicht in der Mitte sein! Wer sitzt denn dort, fett und satt? Eben. Dann lieber ein Außenseiter, aber gemeinsam mit den Glaubensbrüdern. Vereint im Kampf für das Richtige! Keine Ahnung, was genau mit den Nachtsichtgeräten passieren sollte. Wozu kann man sowas schon brauchen? Hab auch nicht gefragt, immerhin hatte ich meinen ersten Auftrag. Für Kreshnik. Für den Islam!
Die Teile waren schnell besorgt, braucht man ja keinen Waffenschein für. Aber was verdammt noch mal wollte Kreshnik damit? Und warum hat er mich danach …
Naja, muss ich ja jetzt nicht noch mal alles wiederholen, Du warst ja dabei. Alter, echt, was fürn Abfuck! Ich hoffe nur, es wird wieder alles gut. Also, ich BETE, dass wieder alles gut wird. Dass Du es wieder alles gut machst. Okay? Ich wär Dir jedenfalls übelst dankbar! Echt!

Dein Jona

AutorIn: Stefan Herfurth
Datum: 31.10.2018