WOHIN FÜHRT DIESER WEG? — EIN INTERVIEW ZU ELFRIEDE JELINEKS »AM KÖNIGSWEG«

Mit Blindheit geschlagen sind alle in diesem Schau-Spiel: Der von sich selbst geblendete König, der mit Immobilien, Golfplätzen und Casinos ein Vermögen verdient hat (nicht immer ganz legal) und nun das mächtigste Land der Welt regiert. Das Volk, das ihn gewählt hat, blind darauf vertrauend, vom Joch der Arbeitslosigkeit und Kreditschulden befreit zu werden. Sogar die Gegner, die blindwütig auf den König einschlagen, seinen Sieg aber nicht verhindern konnten. Der König wird gefeiert als Erlöser, der der Nation hoffentlich Erlöse bringt; eine Kraft wurde entfesselt, die rund um den Globus längst überwunden geglaubte Weltanschauungen zurück in die Gegenwart spült, begleitet von Hass, Wut und Gewalt. Der Königsweg erweist sich als Kreuzweg, Holzweg, Scheideweg, an dem bestimmt wird, wie wir in Zukunft leben wollen.

»Am Königsweg« von Elfriede Jelinek ist ein spektakulärer Theatertext auf dicht bedruckten 90 Seiten, der Aufsehen erregt. Am Abend, als Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, begann Elfriede Jelinek, das Stück zu verfassen. Benjamin Junghans studiert seit 2016 Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Neben Theaterstücken liegt sein künstlerischer Schwerpunkt auch auf Hörspielen und Filmen. Nun inszeniert er »Am Königsweg« in Ulm. Für die Ausstattung ist Maike Häber verantwortlich. Sie studierte Bühnen- und Kostümbild an der Technischen Universität Berlin und ist seit der aktuellen Spielzeit Ausstattungsassistentin am Theater Ulm. Lauschen Sie in ein Konzeptgespräch mit Benjamin Junghans, Maike Häber und Dramaturg Christian Stolz.

Christian Stolz Die Zeitschrift »Theater heute« zeichnete »Am Königsweg« 2018 als »Stück des Jahres« aus: »Es ist wirklich das Stück, das die Zeitstimmungen und Gefährdungen zusammenfasst«, resümiert die Redaktion. Wie würdet Ihr die Auszeichnung begründen? Worum geht es für Euch in dem Text?

Benjamin Junghans Ich begreife das Stück als ein Kaleidoskop. Es gießt die Widersprüchlichkeit der Zeit in eine Textfläche. Darin bildet es eine Überforderung ab, eine Ratlosigkeit, die auf kein Ziel hinausführt, sondern Fragen ineinander verwebt, Widersprüche nebeneinanderstellt.

Maike Häber Ich finde den Begriff Kaleidoskop interessant, denn ein Kaleidoskop dreht man und erfährt unterschiedliche Blickwinkel auf etwas. Das finde ich bei Jelineks Text so spannend: Durch das Spiel mit Sprache werden Bedeutungen von Wörtern und Sinnzusammenhänge in Sätzen plötzlich umgekehrt und verändert. Für mich geht es inhaltlich um das Thema, etwas Altbekanntes als etwas Neues zu verkaufen — aus machtpolitischen Gründen.

Benjamin Junghans Zentral ist dem Text die Entstehung einer Königsfigur aus einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung, aus einem gesellschaftlichen Krisenzustand heraus eingeschrieben. Bei Jelinek erinnert diese Figur sehr stark an Donald Trump. Er wird aber namentlich nicht erwähnt. Das ist essentiell: Es gibt diese Figur, die zitiert wird, die aber kontinuierlich durch einen Betonmischer griechischer Mythologie gedreht wird. So taucht sie nicht mehr tagespolitisch auf, sondern beispielsweise als Ödipus-Figur. Daran werden verschiedene Motive von Herrschaft und Verklärung von Herrschaft, Blindheit in Form von Herrschaft aufgearbeitet.

Christian Stolz Obwohl innerhalb des Stücks Figuren und ihre Sprache — wie Trump — aufscheinen, zitiert werden, ist der Text nicht in Sprachpassagen einzelner Figuren wie in einem klassischen Schauspiel eingeteilt. Es ist vielmehr ein Fließtext. Wie geht Ihr mit dieser speziellen, fordernden Form um?

Benjamin Junghans Ich habe es impulsiv wie ein Stimmengewirr in einer Bahnhofshalle gelesen, als eine Form von Öffentlichkeit. Mein Gefühl ist nicht, dass der Text als Monolog eines psychologisch kohärenten Charakters verfasst ist, sondern dass er radikal verschiedene Versatzstücke, Meinungen, Haltungen, Positionen ineinander schraubt und schachtelt. In vielen kleinen Splittern kommen die Dinge zusammen, so wie man es manchmal erlebt, wenn man in einer Bahnhofshalle sitzt und dutzende Gespräche auf einmal hört. Alle Menschen leben in der gleichen Zeit und sind mit ähnlichen Fragen beschäftigt, auch wenn die einzelnen Dinge, über die sie sprechen, verschiedene Auswüchse, Teile und Themen dieser Zeit sind.

Maike Häber Es sind Texte, Gespräche, Meinungen, Aussagen vom Volk, von vielen Menschen als Gesellschaft. Deshalb finde ich den Titel so interessant: »Am Königsweg«. Man geht diesen Königsweg nicht selber, sondern man steht neben ihm oder geht neben ihm. Es wird also eine gewisse Passivität ausgedrückt.

Christian Stolz So viel können wir schon verraten: Es wird ein musikalischer Abend, mit Sound, mit Klängen, mit Musik. Was macht die Sprache Jelineks musikalisch?

Benjamin Junghans Für mich kam relativ schnell das Bild des Teppichs auf, als ich den Text gelesen habe. Viele verschiedene Fäden werden ineinander verwoben und am Ende, wenn ich das Ganze anschaue, ist es unmöglich für mich, die einzelnen Fäden zu erkennen: Ich sehe bloß noch den Teppich als Ganzes. Das hat mich sehr stark an das Lesen einer Partitur erinnert. Verschiedene Stimmen tauchen auf, gehen unter, kehren wieder. Ich denke den Text in Stimmen, die ihn vortragen, die verschiedene Positionen haben, unterschiedliche Stimmlagen, die verschiedene Gefühle in unterschiedlichen Tonarten ausdrücken.

Christian Stolz Wir haben uns Bilder und Fotos aus dem Leben von Trump angesehen, unter anderem ein Familienfoto mit prächtiger Löwenfigur und goldenem Thron. Verbindet Ihr bestimmte Farben mit Jelineks Stück?

Maike Häber Die Assoziation absolutistischer Herrscher in Barock oder Rokoko liegt nahe. Daher war unsere Überlegung, dass wir viel mit Gold arbeiten werden. Der Gedanke kam, nachdem wir das Interieur von Trumps Wohnung im Trump Tower studiert haben, das opulent in einem nachgemachten Versailles stehen könnte. Wir möchten das Podium in eine Art Spiegelsaal verwandeln.

Benjamin Junghans Trump ist dem Stück so stark eingeschrieben, das aufzurufen, wäre eine komische Doppelung, dachten wir zunächst. Man macht also einen Schritt in die andere Richtung, geht ins Historische. Wir schauten uns Schlösser des 18. Jahrhunderts an, und stellten fest: Wow, das sind Museen. Die Schlösser sind keine Repräsentationsräume von Herrschaft mehr.

Maike Häber Schon gar nicht in einem Wolkenkratzer mitten in New York, der in der Mitte der 80er-Jahre gebaut wurde. Ein Klein-Versailles Trumps auf zwei oder drei Stockwerken.

Benjamin Junghans Und dann überlappen sich das Historische und die Gegenwart.

Christian Stolz Warum sollte man sich dieses Stück ansehen? Und wieso hier in Ulm?

Maike Häber Weil es mal etwas ganz Anderes ist und ein riesiges Erlebnis wird.

Benjamin Junghans Im Rest der Republik wird über die A7-Gegend oft ein bisschen gewitzelt, weil man hier so weit weg von allem ist. Aber in diesen globalisierten Zeiten kann Ulm so sehr im Donautal liegen, wie es will: Es ist Teil einer globalen Verantwortung, Teil einer globalen Kultur, auch Teil einer globalen politischen Kultur. Es ist sehr leicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen, aber das Grundprinzip ist global. Es ist ein globales Thema, und dem kann man sich nirgendwo verwehren. Auch nicht in Ulm.

Maike Häber Und selbst in Ulm wird es einen kleinen König geben.

 

Christian Stolz

AutorIn: Christian Stolz
Datum: 12.03.2020