EINE GESCHICHTE, VIELE ERZÄHLUNGEN

Ab dem 28. Februar 2020 können Zuschauerinnen und Zuschauer im Podium eine neu erarbeitete Fassung des Erfolgsromans »Auerhaus« von Bov Bjerg erleben — ganz gleich, ob sie zur Zeit der Handlung (in den 1980er Jahren) geboren wurden, gerade die Schule beendeten oder noch gar nicht auf der Welt waren. Die Geschichte um sechs junge Menschen, die sich zu einer Wohngemeinschaft in der schwäbischen Provinz zusammenfinden, fand vor kurzem auch ihren Weg auf deutsche Kinoleinwände. Angesichts dieser Adaptionen eines nicht unbedeutenden Lebensabschnitts haben wir den Erzähler von »Auerhaus«, Höppner (der sich selbst wegen seines Jobs auf einer Hühnerfarm den Beinamen »Hühnerknecht« gibt), gebeten, seine Überlegungen dazu zu formulieren:

 

Jetzt ist es also passiert. War ja quasi logisch, dass es mit dem Buch noch nicht getan ist. Aber jetzt haben die tatsächlich unsere Geschichte verfilmt, fürs Kino. Ich geb’s ja zu, bei den ganzen internationalen Trends, sich in die 80er zurückzubegeben, konnte der deutsche Film vermutlich nicht lange tatenlos zusehen. Und wenn ich heute diese paarunddreißig Jahre zurückdenke, ist das alles wirklich wie die Story eines Films, den man mal echt gut fand, an den man sich aber jetzt nicht mehr in allen Einzelheiten erinnert. Wir waren alle kurz vor dem Abitur und ich hatte sogar schon eine Einladung zur Musterung bekommen. Die hab ich in einen Ordner gelegt, um mindestens noch zwei weitere solcher Einladungen dazu zu heften. Wäre der Rest niemals so passiert, wie er passiert ist, wäre mein Leben quasi nach dem üblichen Schema abgelaufen: Birth, School, Work, Death. Tolle Nummer.
Aber Frieder musste ja versuchen, sich umzubringen. Das war echt ein Riesenschock, obwohl wir als Freunde bis dahin gar nicht so viel miteinander erlebt hatten. Als ich ihn in der Klapse besucht hab, haben wir jedenfalls Pauline kennengelernt. Frieder fand die richtig gut, obwohl die gerne mal Sachen abgefackelt hat. Und als er da rauskam, aus der Klapse, wollte er nicht wieder zu seinen Eltern, sondern lieber in das Haus seines Opas ziehen. Das stand leer in einem Kaff. In seinem Zustand sollte er da aber nicht alleine wohnen, also bin ich mit meiner Freundin Vera auch eingezogen. Ich war ganz froh, so war ich den fiesen Freund meiner Mutter los. Und weil Vera nicht das einzige Mädchen sein durfte (Eltern), kam Cäcilia auch noch mit. So kam quasi eine Vierer-WG zusammen. Und wir hatten es wirklich gut da! Wer auch immer Lust dazu hatte, kochte was, beim »Einkaufen« konnten wir unsere Fähigkeiten in puncto Taschendiebstahl trainieren und sehr oft schallte ein Song von Madness durch die Luft: »Our House«. Daher kam dann auch der Spitzname für unsere WG, »Auerhaus«. Wie Auerochse, weil wir eben auf dem Land gewohnt haben und man da breites Schwäbisch spricht.
Irgendwann kamen dann noch Pauline, die Koklerin aus der Klapse, und Harry dazu. Da wussten wir noch gar nicht, dass Harry schwul war. Er, glaube ich, auch nicht. Aber jetzt waren wir sechs und konnten gut auf Frieder aufpassen, damit er nichts Dummes tut. Brenzlige Situationen gab es ja genug, aber auch andere, die uns noch lange im Gedächtnis bleiben sollten: Die Silvesterparty zum Beispiel, mit einer Super-Mischung aus Schwulen, Schülern und Bekloppten. Oder das Weihnachten unmittelbar vorher, an dem Frieder den Baum im Dorf gefällt und dabei einen Stromausfall verursacht hat! Das wurde auch schonmal richtig gefährlich, wie bei der Razzia wegen Harrys Drogen. Oder in der Nacht, als wir mit Harrys Auto unterwegs waren, und Frieder und er völlig durchgedreht sind.
Aber das wird man bestimmt alles auch im Film sehen. Bin ja mal gespannt, ob ich mich da wiedererkenne, wenn sechs junge Schauspieler uns und unsere Geschichte verkörpern. Das Theater Ulm macht ja quasi dasselbe jetzt, vermutlich, weil die Geschichte auch an der Alp spielt. Aber die machen das wohl mit Schauspielern, die damals auch etwa in unserem Alter waren. Find ich ja ehrlich gesagt ein bisschen spannender.

Höppner Hühnerknecht

AutorIn: Stefan Herfurth
Datum: 1.02.2020