EIN TEXT, DER ZUM (AUS-)SPRECHEN ANREGT: HENRIETTE DUSHES »LUPUS IN FABULA«

Mit »Lupus in fabula« wird zum ersten Mal ein Text der Autorin Henriette Dushe am Theater Ulm aufgeführt. In diesem Drama kommen drei Schwestern am Sterbebett ihres Vaters zusammen und versuchen auf sehr unterschiedliche Art und Weise, mit dieser Situation klarzukommen: Die Älteste arbeitet an ihrer Trauerrede, die Mittlere legt ihr Kind ins Bett des Vaters, die Jüngste bewertet ihre eigene momentane Situation. Immer wieder rufen sich die drei Töchter profane oder einschneidende Ereignisse aus der Kindheit ins Gedächtnis, die vor dem Hintergrund der besonderen Umstände teilweise neue Wertungen erfahren. Eine beim gemeinsamen Erinnern gewonnene Erkenntnis könnte ganz simpel lauten: Es hilft, über das Sterben zu sprechen. Auch, wenn es unschön ist.

Dass diese Erkenntnis nicht nur für das Publikum ihres Theaterstücks gilt, hat die 1975 in Halle/Saale geborene Dushe schon bei anderen Gelegenheiten feststellen können: Noch bevor sie Szenisches Schreiben bei »uniT« an der Karl-Franzens-Universität Graz studierte, verfasste sie Nachrufe unter der Rubrik »Vorbei – ein dummes Wort« für den »Tagesspiegel«. Dazu trat sie mit Hinterbliebenen in Kontakt, um sie zu ihren verstorbenen Angehörigen zu befragen und anschließend ihre Lebensgeschichten aufzuschreiben. Aus dieser Zeit hat sie den Rat mitgenommen, Freunde, in deren Familien sich ein Todesfall zugetragen hat, nicht damit „in Ruhe“ und letztlich allein zu lassen. Indem man Unterstützung signalisiert und zuhört, erleichtert man die Situation für das Gegenüber, das sich mitteilen kann, bereits enorm.
Die Initialzündung für die Arbeit an »Lupus in fabula« war jedoch eine andere: Während ihres Studiums bei »uniT« hatte Henriette Dushe die Möglichkeit, eigene Stückideen weiterzuentwickeln; im Rahmen des Lehrgangs betreute sie der Lyriker Ulf Stolterfoht als Mentor über anderthalb Jahre beim Verfassen von Texten. Dushe schrieb an ihrem zweiten Drama und konzipierte gerade eine sozialphilosophische Doktorarbeit über Bestattungsriten der Postmoderne, als ein privates Ereignis in ihrer Familie nicht nur diese Pläne, sondern auch die Arbeit an anderen Texten blockierte. Wie schon zuvor bei anderen Anlässen übungsweise geschehen, begann sie, Gespräche zwischen ihren Verwandten auf Band mitzuschneiden. Einige der so aufgezeichneten Dialoge gaben auch der Sprache in ihrem Theatertext über das Sterben eine Richtung.
»Lupus in fabula« ist allerdings weder Protokoll noch autobiographische Abhandlung: Genau wie manche vermeintlich neutrale Memoiren oder Filmdokumentationen ist Dushes Theatertext vor allem künstlerisch abstrahierende Annäherung an ein Thema, das Menschen emotional belasten kann. Die Schwere und Beschwernis dieser unumgänglichen Lebenserfahrung lässt sich indes manchmal vermindern, wenn man sie artikuliert. Dazu geben die Aufführungen von Henriette Dushes anrührend poetischer Arbeit in Ulm Gelegenheit.

 

AutorIn: Stefan Herfurth
Datum: 24.10.2018