DEN TRAUM THEATER LEBEN: EINE GESCHICHTE AUS DEM EXTRACHOR

Wenn am 21. März »Der Fliegende Holländer« Premiere feiert, meistert der Chor große Auftritte

Es war einmal…
…ein Schiffskapitän. Er verspielt seine Seele an den Teufel. Also verflucht der Teufel den Seemann. Er verdammt den »Fliegenden Holländer« dazu, auf den Meeren umherzuirren, rastlos, auf der Suche nach Erlösung. Wie kann er erlöst werden von dieser ewigen Qual? Bloß durch die reine Liebe einer jungen Frau. Senta sieht ein Bild von diesem Mann - und ist in ihn verliebt. Für den Holländer ist sie bereit, alles zu tun. Was geschieht, wenn sie ihm eines Tages leibhaftig gegenübersteht?
Ein Verlangen nach etwas haben, das unerreichbar ist, für die Liebe größte Opfer bringen, gar das eigene Leben opfern, Erlösung finden – die Oper »Der Fliegende Holländer« von Richard Wagner greift mächtige Gefühle aus den Untiefen menschlicher Sehnsüchte auf. »Man kann sich freuen auf hochromantische, kraftvolle Opernmusik, mit Melodien, die dich bis übermorgen nicht loslassen werden«, sagt Konzert- und Musiktheaterdramaturg Benjamin Künzel.
Große Partien hat der Chor zu meistern, als Steuermänner, Spinnerinnen, Geister. Er ist in die Handlung einbezogen, schafft massiv Atmosphäre. Der Hauschor des Theaters, der sich aus studierten Profisängerinnen und -sängern zusammensetzt, wird erweitert durch die singbegabten und singbegeisterten Mitglieder des E-Chors, des Extra-Chors. »Man braucht eine klangliche Wucht, um den Effekt zu erzeugen, der komponiert ist«, beschreibt Dramaturgin Diane Ackermann die Rolle des E-Chors. »Manche Stücke wären ohne diese engagierten Leute nicht denkbar.«
Wie ist es für die Mitwirkenden des E-Chors, tagsüber Lehrer zu sein, Optiker oder Student, und abends in großer Oper auf großer Bühne alle Scheinwerfer auf sich gerichtet zu haben?

            Es war einmal…

…ein Satz, mit dem eine Liebesgeschichte beginnt: »Geh doch mal hin und sing vor, wenn du auch so gerne singst und auf der Bühne stehst.«
»Die nehmen mich nie im Leben«, denkt sich Corina Schulz, als ein Arbeitskollege in der Ulmer Tourist-Information ihr den Tipp gibt, sich doch mal beim E-Chor des Theaters zu bewerben. Sie singt schon seit ihrer Kindheit gerne, später auch in einem Frauen-Ensemble, aber als Profi sieht sie sich nicht.

Trotzdem versucht sie es und schreibt eine E-Mail an Hendrik Haas, den Leiter des Haus- und Extra-Chors. Für das Vorsingen bereitet sie ein Stück von Puccini vor - und überzeugt. Da trifft es sich doch gut, dass noch ein Platz im E-Chor bei der Oper »Peter Grimes« von Benjamin Britten frei ist...

2015, ein Abend in der Kantine des Theaters. Michel Schulz, seit seiner Chorknaben-Zeit begeisterter Sänger, hauptberuflich chemisch-technischer Assistent, tritt bereits seit 2014 mit dem E-Chor auf. Er pausiert bei »Peter Grimes«. »Aber ich hatte Sehnsucht nach dem Theater. An diesem Abend war, glaube ich, die erste Probe. Ich war gerade in der Stadt und wollte noch auf ein Bierchen ins Theater und die anderen Leute vom Chor treffen. Und dann saß sie da und ich dachte: Ah, eine Neue...« Corina und Michel sehen sich zum ersten Mal. »Bei der Premierenfeier sind wir dann ins Gespräch gekommen.«

Corina Schulz erzählt: »Und dann haben wir festgestellt, dass wir ziemlich viele Gemeinsamkeiten haben. Wir freundeten uns an und haben auch privat einiges zusammen unternommen: Handballspiele, Festivals... Und irgendwann haben wir gemerkt: Okay, es ist doch alles nicht nur freundschaftlich. Wir sind zusammengekommen. Ziemlich schnell hat Michel mich dann gefragt, ob ich ihn heiraten will.« Immer gemeinsam sind sie seither bei den Produktionen des E-Chors dabei, »weil wir das Theater einfach lieben«.

Die Musik des »Fliegenden Holländers« bringt für den Chor eine Menge Spaß mit, Potential, sich auf der Bühne auszutoben: Die Musik lädt zum Spielen ein. Benjamin Künzel betont das Engagement der rund zehn Damen und zehn Herren des E-Chors, das dahintersteht: »Neuen Mitgliedern ist oft nicht klar, was das an zeitlichem Aufwand bedeutet. Man gibt sich nicht damit zufrieden, dass nur schön gesungen wird, es wird auch gespielt.«

Rund zwei Monate lang probt Hendrik Haas mit dem Chor musikalisch, ein- bis zweimal in der Woche. Dann beginnen die etwa sechswöchigen szenischen Proben. Beim »Fliegenden Holländer« üben Männer und Frauen zunächst getrennt, da es für sie jeweilige Parts gibt. »Es geht damit los, dass man sich den Text anschaut, ihn spricht, dann anfängt ihn zu singen, und das immer zu wiederholen.« Vor dem Schluss der Oper erwartet die Sängerinnen und Sänger eine große Aufgabe: eine zehnminütige Chor-Szene, »in der die Damen und Herren dialogisieren, sich Fragen, Antworten und Kommentare zuwerfen.« Hendrik Haas findet es toll, wenn im Chor ein starkes Gemeinschaftsgefühl entsteht: »Ich will die Extra-Chor-Leute so vorbereiten, dass sie mit Stolz auf der Bühne stehen.«

           

2019, ein Besuch beim jungen Ehepaar Corina und Michel Schulz: Es ist muckelig warm, der Weihnachtsbaum ist bunt geschmückt, und friedlich döst Jan im Arm seiner Mutter. Am 1. Dezember 2018 ist ihr Sohn auf die Welt gekommen. Das Kind ist ihr gemeinsames Glück, sagen sie.

Der Papa probt gerade am »Fliegenden Holländer«: »Man denkt, es wäre lange, schwere Musik, aber bei jeder Probe wächst man in die Musik Wagners hinein und findet versteckte Themen wieder.«Auch wenn Corina Schulz momentan am Chor pausiert, schwärmt sie vom Theater - es ist ein Stück Heimat geworden: »Wenn ich vor dem Theater stehe und es klingt Musik und Gesang aus jedem Fenster, da geht mir innerlich das Herz auf.«

»Das Schöne am E-Chor ist, das Gefühl zu haben, einen Traum leben zu dürfen«, findet Benjamin Künzel. Die Spannung steigt zum »Fliegenden Holländer«, einer Kooperation mit dem Landestheater Detmold, wo Intendant Kay Metzger die Oper in der vergangenen Spielzeit inszenierte. Er erarbeitet nun eine eigene Ulmer Produktion, inszenatorisch neu, auf Basis des Erprobten. In seiner Interpretation lenkt er den Fokus auf Senta und erzählt die Sehnsucht einer filmbegeisterten Frau nach etwas, das sie nicht haben kann, die fasziniert ist vom Hauptdarsteller des Films »Fluch der Südsee«. Etwas Unerwartetes geschieht – was ist Traum, was Realität?

 

MACHEN SIE THEATER!

Sie haben Spaß am Singen und möchten erleben, wie es ist, im Chor an einem großen Opernabend mitzuwirken? Melden Sie sich gerne bei Hendrik Haas unter h.haas@ulm.de. Jede/r kann sich bewerben, Männer werden derzeit vordringlich gesucht!

AutorIn: Christian Stolz
Datum: 19.02.2019