»ABER TUN WIR WIRKLICH WAS?« — EIN GESPRÄCH ANLÄSSLICH DER INSZENIERUNG VON MAX FRISCHS »BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER«

Vor mehr als einem halben Jahrhundert verfasste Max Frisch sein »Lehrstück ohne Lehre« über uns treuherzige und geschäftstüchtige Besitzstandswahrer, die an den Status quo der ureigenen kapitalistischen Nische glauben, obwohl ringsumher in der Wohlstands- und Warenwelt gefährliche Brandherde lodern. Haben wir etwas gelernt seitdem?
Mitnichten, obwohl Generationen von Schülerinnen und Schülern sowie Theaterbesucherinnen und -besuchern mit zig Interpretationen der Biedermann-Parabel konfrontiert wurden: Wir lassen uns unseren Glauben an das Gute nicht nehmen und bieten, liberal und aufgeschlossen wie wir sind, sogar Radikalen Obdach, auch wenn die keinen Hehl daraus machen, uns und unsere Gesellschaft vernichten zu wollen.
Chefdramaturg Dr. Christian Katzschmann sprach mit dem Regisseur Ekat Cordes über Max Frischs Stück und einige Akzente seiner Inszenierung:

Christian Katzschmann »Biedermann« 2020: Weshalb dieses vielgespielte Stück gerade jetzt?

Ekat Cordes Politisch ist viel im Umbruch, die extreme Rechte hat Zulauf, aber es gibt neben den Rechtsradikalen auch viele andere Gruppierungen und einzelne Individuen, die diese Gesellschaft zerstören wollen, und wir alle sehen doch das Unheil kommen. Wir empfinden und denken zwar, dass alles immer schlimmer und schlimmer wird, aber tun wir wirklich was, leisten wir Widerstand, oder sind wir gar zu tolerant gegenüber diesen Abspaltungen und verschließen wir nur die Augen und denken, dass sich das Unheil von selbst wieder abwenden wird? Frischs Stück fordert diese Fragen heraus.

Christian Katzschmann Passt Du den Text an die heutigen Realitäten an und wenn ja, weshalb?

Ekat Cordes Mich stören bestimmte Anteile des Stücks, die heute etwas muffig wirken, die altbackene Sichtweise auf die Frauenund Männerrollen etwa (der Mann arbeitet und hat das Sagen, die Frau gehorcht und bleibt zuhause). Das versuche ich an die heutige Wirklichkeit anzupassen.
Zudem habe ich der Stückhandlung einen neuen Rahmen gegeben, die mit unserer medialen Realität zu tun hat. Ich habe das Format einer trashigen Fernsehshow gewählt (so eine Mixtur aus »Aktenzeichen xy … ungelöst«, »Wetten, dass..?« und RTL), denn die Medien sind die großen Gefühlserzeuger heute. Sie versuchen, Meinungen zu lenken, sie schüren Angst in großen neongrellen Lettern, und sind damit Anziehungsmagnet. Die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland zum Beispiel ist gering. Unser Gefühl sagt uns jedoch etwas anderes. Die Begriffe Terror und Angst sind im Medienbereich Verkaufsschlager. Deshalb ist dieser Begriff oft allgegenwärtig und diese Angst wird durch die Medien plötzlich greifbar und allgegenwärtig — und fast schon zum popkulturellen Phänomen unserer Zeit.
Diese herausgehobene Stellung wollte ich unbedingt berücksichtigen, der makabre Effekt, ein ernstes Thema als Unterhaltungsshow aufzuziehen, ist dabei mit Blick auf die mediale Realität natürlich beabsichtigt.

Christian Katzschmann Welche Wirkung beabsichtigst Du mit der Einführung zusätzlicher Schauplätze und Figuren?

Ekat Cordes Ich möchte das ganze Geschehen unvorhersehbarer erzählen, in die Frage nach den Brandstiftern und der Gefahr für die Gesellschaft mehr Irritation, Groteskes integrieren, ganz so, wie es tagtäglich in zig TV-Runden geschieht, ohne dass damit etwas klarer wird. Je mehr sogenannte Experten sich mit den »Gefährdern« auseinandersetzen und herausfinden wollen, wieso es zu diesen Taten kommen konnte, desto absurder erscheint diese Aufarbeitung und Erklärung, denn von Anfang an ist die Katastrophe absehbar, alle Zeichen deuten von Beginn an darauf hin, wer die Zerstörungen plant und ausführt. Diese mediale Aufbereitung von Inhalten, das immer neue Hinzufügen von ›Fakten‹ und ›Meinungen‹ ist ein prägnantes Phänomen für unsere biedermann-hafte Ablenkung von grundlegenden akuten Problemen, ein zig-faches sehendes Augenverschließen vor dem ganz Klaren und Unausweichlichen.

Christian Katzschmann Mit der von Dir hinzugefügten Figur des Moderators zielst Du auf eine bestimmte Art von Journalismus ab. Welche Funktion kommt diesem Akteur in Deiner »Biedermann«-Inszenierung zu?

Ekat Cordes Der Showmaster steht bei mir anstelle des Chores für die behauptete, scheinbar objektive Perspektive von außen, was aber, wie klar wird, eine unhaltbare Position ist — damit bewegen wir uns wieder ganz im Rahmen eines Lehrstücks. Einerseits forciert er die Berichterstattung über vermeintliche Attentäter, Andersdenkende will er aufklären, andererseits geschieht dies eben nicht neutral, sondern tendenziös. Er nutzt die Anschlagsgefahr zur Angstmache, zelebriert diese herausragenden, sensationellen Fakten für seine Unterhaltungsshow und verleiht der Gefahr gezielt eine immense Bedeutung. Und womöglich legt er es als medialer ›Brandstifter‹ in unserer Version des Stücks sogar darauf an, dass die tatsächlichen Brandstifter zur Tat schreiten, Feuer legen, es Nachahmer gibt, weil es ihm in seiner Funktion und Arbeit nützt.

Christian Katzschmann Eine Figur, der neben den Brandstiftern Schmitz und Eisenring und dem Ehepaar Biedermann bei Max Frisch eine eher untergeordnete Funktion zukommt, ist das Dienstmädchen Anna. Ihr widmest Du allerdings mehr Aufmerksamkeit — mit welchem Ziel?

Ekat Cordes Bei Frisch hat Anna kaum Text, sie darf in ihrer Funktion kaum reden, hat Aufgaben widerspruchlos abzuarbeiten, soll alles akzeptieren, was ihr gesagt wird, vor allem von männlichen ›Autoritäten‹. Gegen diese Frauenrolle als Klischee lehnt sich Anna in meiner Lesart auf, sie bricht aus ihren Verhaltensmustern aus, entdeckt ihr Selbstbewusstsein, und vielleicht versucht sie ja mit ihren neu an sich entdeckten Kräften und Fähigkeiten wie eine Superheldin die von Männern geplante Katastrophe zu verhindern …

Christian Katzschmann Wird der Brand in Deiner »Biedermann«-Welt, die ja im Sinne von Frischs Lehrstück unsere spiegeln kann und soll, also doch vereitelt oder ist er unausweichlich?

Ekat Cordes Unausweichlich. Sonst wäre es eine Utopie.

 

Dr. Christian Katzschmann

AutorIn: Dr. Christian Katzschmann
Datum: 1.02.2020